Archiv der Kategorie: Familie mit Kindern

VG Arnsberg 6. Kammer / Az.: 6 L 721/15.A / Ungarn

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§ 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmt, dass die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a) angeordnet werden kann, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen, der sich die Kammer anschließt, bedeutet dies, dass die Abschiebungsanordnung erst dann zu erlassen ist, wenn die Rücknahmebereitschaft desjenigen Staates, in den abgeschoben werden soll, geklärt ist […]. Dem Bundesamt obliegt damit die Prüfung, dass weder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse noch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugsgründe, auch Duldungsgründe nach § 60 a Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes, vorliegen […]. Zu den tatsächlichen Vollzugshindernissen, die einen Duldungsanspruch auslösen, gehört der Umstand, dass die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Fehlende Übernahmebereitschaft des Staates, in den abgeschoben werden soll, ist ein solcher Umstand. Da die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht etwa nur zu unterlassen ist, wenn ein solcher Duldungsgrund vorliegt, sondern erst ergehen kann, wenn der Duldungsgrund ausgeschlossen ist („feststeht, dass die durchgeführt werden kann“), muss die Übernahmebereitschaft positiv geklärt sein […]. Daran fehlt es hier. Die Rückübernahme von im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen durch die Republik Ungarn richtet sich nach dem Abkommen zwischen der Regierung von Ungarn über die Rückübergabe/Rückübernahme von Personen an der Grenze (Rückübernahmeabkommen) und dem Protokoll zur Durchführung des Abkommens, in Kraft getreten am 1. Januar 1999 (BGBI Jahrgang 19999 Teil II Nr. 5). Nach Art. 4 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens übernimmt jede Vertragspartei auf Antrag der anderen Vertragspartei ohne besondere Formalitäten die Person, die nicht die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzt (Drittstaatenangehöriger), wenn sie die im Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei geltenden Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt nicht erfüllt und nachgewiesen oder glaubhaft gemacht hat, dass die Person 1. über einen gültigen, durch die andere Vertragspartei ausgestellten Aufenthaltstitel oder ein gültiges Visum verfügt oder 2. auf dem Luftweg unmittelbar aus dem Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei rechtswidrig in das Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei eingereist ist. Art. 4 Abs. 2 des Rückübernahmeabkommens bestimmt, dass diese Rückübernahmeverpflichtung nicht gegenüber einem Drittstaatsangehörigen besteht, der 1. bei seiner Einreise in das Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei im Besitz eines gültigen Visums oder eines anderen gültigen Aufenthaltstitels dieser Vertragspartei war oder dem nach seiner Einreise ein Visum oder ein anderer Aufenthaltstitel durch diese Vertragspartei ausgestellt wurde oder 2. aus einem Staat gekommen ist, mit dem die ersuchende Vertragspartei eine gemeinsame Grenze hat. Gemäß Art. 5 des Rückübernahmeabkommens muss der Antrag auf Übernahme innerhalb von vier Monaten nach Kenntnis der jeweiligen Behörden von der rechtswidrigen Einreise oder des rechtswidrigen Aufenthalts des Drittstaatenangehörigen gestellt werden. Die ersuchte Vertragspartei beantwortet die an sie gerichteten Übernahmeersuchen unverzüglich, längstens jedoch innerhalb von 14 Tagen. Gemäß Art 5 Abs. 2 des Rückübernahmeabkommens kann die ersuchte Vertragspartei die Übernahme ablehnen, wenn sie nachweist, dass der Drittstaatsangehörige ihr Hoheitsgebiet vor mehr als sechs Monaten verlassen hat. Unter Zugrundelegung dieser Bestimmungen steht zum gegenwärtigen und gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt die Bereitschaft zur Rückübernahme der Antragstellerinnen durch die Republik Ungarn nicht fest. Dabei kann offenbleiben, ob einer Verpflichtung Ungarns zur Rückübernahme der Antragsstellerinnen im Hinblick auf ihre Einreise in das Bundesgebiet durch die Republik Österreich bereits die Bestimmung des Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 des Rückübernahmeabkommens entgegensteht. Denn ungeachtet dessen ergibt sich aus den von der Antragsgegnerin eingereichten Verwaltungsvorgängen nicht, dass die Antragsgegnerin den gemäß Art. 5 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens erforderlichen Antrag auf Übernahme gestellt hat. Dabei spricht auch Vieles dafür, dass die Frist von vier Monaten zur Stellung eines solchen Antrags bereits abgelaufen ist, da die Antragsgegnerin seit dem persönlichen Gespräch mit der Antragsstellerin zu 1) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16 Februar 2015 von der rechtswidrigen Einreise der Antragstellerinnen in das Bundesgebiet Kenntnis gehabt haben dürfte. Jedenfalls fehlt es bislang an einer Zustimmung Ungarns zur Übernahme der Antragstellerinnen. Eine solche Zustimmung eines um Übernahme ersuchten Staates ist jedoch selbst dann zu verlangen, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übernahme verweigert werden könnte […].

Das Rückübernahmeabkommen steht hier zum Download zur Verfügung.

Amnesty International: Europe’s Borderlands: Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary

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This report does not aim to describe Hungary’s asylum system in detail. Instead, Amnesty International examines aspects of the system, including the detention of asylum-seekers and
refugees. Hungary’s deportation policy is also examined in the context of concerns about refoulement, and in particular, the risk of chain refoulement.

In dem Bericht wird auch auf die Situation in Serbien/Mazedonien eingegangen.

VG Lüneburg 6. Kammer / Az.: 6 A 446/14 / Ungarn

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Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 2 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes – AsylVfG) bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, dass die Abschiebung der Kläger nach Ungarn entsprechend § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG durchgeführt werden kann. Nach Pressemeldungen vom 23. Juni 2015 hat die ungarische Regierung mit Wirkung vom Dienstag, 23. Juni 2015, die Rücknahme von Flüchtlingen nach dem Dublin- Verfahren suspendiert. Das Boot sei nach Aussage des ungarischen Regierungssprechers voll. Etwa 60.000 illegale Flüchtlinge seien in diesem Jahr bereits über die grüne Grenze gekommen, daher sei man nicht mehr in der Lage, der „Flüchtlingsflut“ Herr zu werden; aus „technischen Gründen“ habe Ungarn daher in der Nacht zu Dienstag die EU-Nachbarn davon in Kenntnis gesetzt, dass die Rücksendung von Flüchtlingen nach Ungarn, die in Ungarn einen Asylantrag gestellt hätten, bis auf weiteres ausgesetzt sei (siehe „Ungarn schottet sich ab“, Süddeutsche.de vom 23.06.2015, „EU-Abkommen ausgesetzt – Ungarn nimmt keine Flüchtlinge mehr auf“ Spiegel online vom 23.06.2015). Nach telefonischer Auskunft des Bundesamts vom 24. Juni 2014 in einem Parallelverfahren liegt dem Bundesamt eine entsprechende Mitteilung der ungarischen Behörden vor, nach welcher über eine „uncertain period“ keine
Überstellungen mehr akzeptiert würden (vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 24. Juni 2015 – 5 B 28/15 – nicht veröffentlicht). Solange die Abschiebung der Kläger demnach aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, ist auch ein Vollzugshindernis im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegeben. Die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung ist dann anzunehmen, wenn für einen vorausschaubaren Zeitraum die Abschiebung ausgeschlossen ist und erst recht, wenn – wie hier – die Abschiebemöglichkeit zeitlich völlig ungewiss ist; nicht ausreichend ist hingegen eine vorübergehende zeitliche Verzögerung in Folge administrativer
Vorkehrungen (s. zu alledem BVerwG, Urt. v. 21.3.2000 – 1 C 23/99 – juris m. w. N.). Darüber hinaus liegen weiterhin betreffend die Klägerin zu 2.) außergewöhnliche humanitäre Gründe vor, die die Beklagte verpflichten, zu Gunsten der Kläger ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben […]. Vorliegend ist zwar keine Reiseunfähigkeit im engeren Sinne anzunehmen, es spricht jedoch überwiegendes dafür, dass eine Abschiebung der Antragstellerin zu 2. und des Antragstellers zu 1. – als ihrer Betreuungsperson – nach Ungarn wegen eines innerstaatlichen Abschiebungshindernisses aus in der Person der
Antragstellerin zu 2. liegenden tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist. Die Antragstellerin zu 2. leidet nach dem Attest und der ausführlichen psychologischen Stellungnahme der Oberärztin der Abteilung Neuropsychiatrie und Psychosomatik der Diana-Klink E. Frau F. vom 23. Oktober 2014 an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die dringend therapeutischer Behandlung sowie eines stabilen Umfeldes bedarf […]. ie untersuchende Ärztin hat diesbezüglich nachvollziehbar geschildert, dass die Antragstellerin zu 2., die bei genaueren Nachfragen zu den Erlebnissen in der Polizeistation in Ungarn unruhig wird, kaum den Blickkontakt halten kann, stottert und um Fassung ringt, eine erneute Änderung des Aufenthaltsortes schwer verkraften würde und die Gefahr eines depressiven Rückzuges bestehe. Im Falle einer Überstellung nach Ungarn bestände demnach unabhängig von der grundsätzlich nicht im Zweifel stehenden Möglichkeit der medizinischen Versorgung von Asylbewerbern in Ungarn jedoch neben der Gefahr der Retraumatisierung insbesondere die Gefahr einer Verstärkung der depressiven Symptomatik der im Entscheidungszeitpunkt erst 13 jährigen Antragstellerin zu 2. Aus diesem Grund kann davon ausgegangen werden, dass bei einer Abschiebung der Antragstellerin zu 2. nach Ungarn derzeitig die konkrete Gefahr einer ernsthaften Schädigung ihrer Gesundheit besteht bzw. nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann.

Ungarnbericht des Europarates / Ungarn

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The current measures for beneficiaries of international protection are ineffective in equipping them with the skills and support necessary for integration. Refugees face many  problems in practice, notably homelessness; sleeping in certain public places can now lead to criminal sanctions. Around 22 % of all asylum seekers are deprived of their  liberty, mostly in asylum detention facilities with very poor living conditions, harsh treatment by guards and lack of access to legal aid or assistance from civil society […].

In 2013, following a sudden and large influx of asylum seekers, Jobbik began to stoke  intolerance  towards  migrants; it announced a protest to demand the removal of the Debrecen reception centre  (see  also  the  section  on  Topics specific  to  Hungary,  Detention  of  asylum  seekers). Asylum  seekers then became the target of extremely xenophobic public discourse and social media invoked stereotypes of them bringing infectious diseases into the country, as well as being „lazy”, “uncivilised” and “criminals”.  In August 2014, a Jobbik member called for tougher policies towards refugees who put a great financial burden on the country, reduce public safety standards and cause health risks […].

However, beneficiaries of international protection must move out of reception centres within two months of obtaining international protection. While the move away from “camp-based” integration towards a community-based system has generally been welcomed, refugees face problems in practice. It takes several months before they start to receive financial support and this progressively decreases at the end of each six-month period down to 25% of the original amount. Most have no jobs when they leave the reception facilities and do not speak Hungarian […].

As a result, one of the most serious problems faced by refugees is the risk of homelessness. ECRI notes that recent amendments to the Fundamental Law authorise the criminalisation of sleeping in public places; Hungary adopted amendments to the Act on Misdemeanor in 2013 to this effect, despite strong criticism expressed by the UN Special Rapporteurs on extreme poverty and on adequate housing. The new legislation is particularly harsh for refugees, since their financial support is insufficient to rent an apartment and cover subsistence expenses. The UNHCR points out that some beneficiaries of international pro0tection have re-applied for asylum in Germany in order to avoid homelessness, and possible criminal sanctions, in Hungary.

Wirtschafts Blatt: Der Arbeitsstrich auf Malta sichert das Überleben vieler Flüchtlinge

Politisch und medial steht das Thema Flüchtlinge in Europa weit oben auf der Agenda. In der Diskussion um die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union stehen aber oftmals nationalstaatliche Interessen und Zahlen im Vordergrund. Leicht vergisst man da, dass diese Menschen meist tragische, persönliche Schicksale und Geschichten erlitten haben. Wie jene Asylsuchenden, die in Malta am Arbeitsstrich ihr Überleben sichern. Von Europa fühlen sie sich im Stich gelassen. „Wirklich interessieren tun sich die wenigsten für uns“, sagt Joseph, ein Flüchtling aus Eritrea im Gespräch mit der APA in Malta. Hoffnungslos überfordert sei die maltesische Regierung, aber wohl auch die gesamte EU, meint der Mittdreißiger. Weil sie vom Staat nur bis zu 300 Euro pro Monat – wenn überhaupt – erhalten, versuchen viele der Flüchtlinge, auf den Straßen Tagesjobs zu ergattern.

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VG München 11. Kammer / Az.: M 11 K 14.50681 / Ungarn

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Dem Kindeswohl ist bei der Entscheidung über die Zuständigkeit nach der Dublin III-Verordnung besonders Rechnung zu tragen […]. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass die Unterbringungsbedingungen für Familien mit minderjährigen Kindern in Ungarn […] systemische Mängel aufweisen […]. Dem Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen zufolge werden in Ungarn seit September 2014 auch Familien mit minderjährigen Kindern inhaftiert […]. Die Sachlage in Ungarn hat sich damit für asylsuchende Familien seit September 2014 grundlegend verändert. In früheren Berichten war davon ausgegangen worden, dass von der Möglichkeit der Inhaftierung dieser Personengruppe in der Praxis kein Gebrauch gemacht werde […]. Es ist demnach mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei den Klägern im Falle einer Rückkehr nach Ungarn wegen ihrer Weiterreise während des dortigen Asylverfahrens der Haftgrund einer Verzögerung des Asylverfahrens angenommen und eine Haft angeordnet werden würde.  Nach den Feststellungen von ECRE […] werden zu inhaftierende Familien Unterkünften in Békéscsaba und Debrecen zugewiesen. Diese Einrichtungen seien für die Inhaftierung von Familien nicht geeignet […]. Diese Feststellungen sind schlüssig und glaubhaft […]. Zwar findet sich in einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 19. November 2014 […] die Aussage, dass die Unterbringung von Familien im Rahmen der Asylhaft in Einrichtungen erfolge, welche auf die spezifischen Bedürfnisse von Familien mit minderjährigen Kindern eingerichtet seien. Diese global gehaltene Einschätzung ist jedoch nicht geeignet, die vorstehend zitierten detaillierten Feststellungen zu entkräften […]. Ist schon die Lage für Rückkehrer mit Kindern schwierig, so gilt dies erst Recht für diese Familie, da die Klägerin zu 3) behindert und blind ist.

VG Minden 3. Kammer / Az.: 3 K 2850/14.A / Ungarn

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Mit diesem Urteil wird der Dublin-Bescheid aufgehoben, da in Ungarn  nach dem AIDA-Bericht vom 4.11.2014 auch Familien mit minderjährigen Kindern inhaftiert werden und es keinerlei Absprachen zwischen Deutschland und Ungarn im Hinblick auf die Unterbringung der Familie gab.

VG Ansbach 4. Kammer / Az.: AN 4 K 14.30119 / Ungarn

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Die Beklagte ist an der Überstellung der Kläger nach Ungarn gemäß der Dublin-II-VO gehindert, weil das ungarische Asylsystem nach der Überzeugung des Gerichts hier ausnahmsweise gerade für die Gruppe, der die Kläger zugehören – Familie mit Kleinkind – systemische Mängel insbesondere im Hinblick auf Inhaftierungspraxis und Haftbedingungen für Kinder aufweist.

Amnesty International: Automatic migrant detention breach of Malta’s human rights obligations

The automatic detention of undocumented migrants for up to 18 months and of asylum seekers for up to 12 months is “in breach of Malta’s international human rights obligations”, human rights experts have warned. In its annual ‘State of the World’s Human Rights’ report, human rights organisation Amnesty International said that Malta’s search and rescue operations at sea, limited at disembarking refugees and migrants in its territory, is too “restrictive”.

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