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VG Hannover / AZ.: 10 B 921/18 / Malta

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Diesen Maßstäben folgend bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt insbesondere im Hinblick auf die Praxis der drohenden lnhaftierung des Antragstellers und der Haftbedingungen in Malta systemische Mängel.

Die Kammer hat im Hinblick auf den asylrechtlichen Umgang mit Dublin-Rückkehrern in seinem Urteil vom 05.11.2015 — 10 A 5157/15 —‚ juris, ausgeführt:

„Nach diesem Maßstab liegen im Asylsystem Maltas systemische Mängel vor, weil es an rechtlichen Regelungen fehlt, die die Einhaltung der europarechtlichen
Mindestanforderungen an die Bearbeitung von Asylanträgen sicherstellen. Nach dem periodischen Bericht der Europäischen Asylinformationsdatenbank AIDA vom Februar 2015 […]
gibt es in Malta keine gesetzlichen Regelungen, die den Rechtsrahmen der Dublin-Verordnungen umsetzen, sondern nur behördliche Verfahrensvorschriften (AIDA report – a. a. O. – S. 21).

Dabei stellt sich insbesondere die Situation der Dublin-Rückkehrer als problematisch dar. Wenn ein Antragsteller Malta durch Flucht aus behördlichem Gewahrsam oder irreguläre Ausreise verlässt, wird sein Asylantrag nach Art. 13 der örtlichen Verfahrensvorschriften. die insofern Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – aufgreifen, als stillschweigend zurückgenommen
betrachtet. Bei einer Rücküberstellung nach Malta als dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat ist das Verfahren daher in fast allen Fällen bereits eingestellt und der Antragsteller ausreisepflichtig. Er hat zwar die Möglichkeit, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, diese erfolgt jedoch im Wege eines Zweitantrags unter der Voraussetzung, dass er Wiederaufnahmegründe darlegt. Während des Verfahrens können Antragsteller in ihre Heimatstaaten abgeschoben werden (vgl. AIDA report- a. a. O. – S. 22). Diese Praxis stand zum Berichtszeitpunkt in Widerspruch zu Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EU (Asylverfahrensrichtlinie 2005 -; nunmehr Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie 2013 -) und zu Art. 18 Abs. 2 UA 2 der Dublin Ill-VO. Danach haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung wegen stillschweigender Rücknahme wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag geprüft
wird. Durch den Verstoß gegen diese Vorschriften laufen Antragsteller Gefahr, selbst tatsächlich vorliegende Gründe für einen Anspruch auf internationalen Schutz nicht wirksam vortragen zu können.

Während der Bearbeitungsdauer über das  Wiederaufnahmeersuchen, die vollständig im Ermessen der Behörde steht. sind die Antragsteller der Gefahr einer
vorzeitigen Abschiebung ausgesetzt und befinden sich häufig in Haft oder Arrest, die den Zugang zu rechtlicher Hilfe zusätzlich erschwert. Die Möglichkeit, Antragsteller noch vor oder während der Prüfung des Folgeantrags abzuschieben, verstößt zudem gegen das Gebot des Non-Refoulement, das ebenfalls in Art. 20 Abs. 2 UA 3 der Asylverfahrensrichtlinie 2005 bzw. Art. 28 Abs. 2 UA 3 der Asylverfahrensrichtlinie 2013 und Art. 18 Abs. 2 UA 3 Dublin III-VO seinen Niederschlag gefunden hat.“

Dem aktuellen AIDA-Bericht vom November 2015 sind für Dublin-Rückkehrer in dieser Hinsicht keine Verbesserungen zu entnehmen […]. Sollte der Antragsteller Malta auf irregulärem Weg verlassen haben – wovon mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann – würde er im Falle seiner Rückkehr voraussichtlich in die Haftanstalt Corradino Correctlonal Facility verbracht (AIDA-Bericht 11/2015). Auch nach der aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 11.12.2017 laufen Asylbewerber, welche Malta ohne Erlaubnis verlassen haben, noch immer Gefahr, nach ihrer Rücküberstellung angezeigt und vor ein Strafgericht gebracht zu werden. Das Gericht könne den Asylbewerber zu einer Geldstrafe oder zu einer Haftstrafe von maximal zwei Jahren verurteilten. Auch schon während der Dauer des Strafverfahrens könne ein festgenommener Asylbewerber inhaftiert werden. (AA, a.a.0., zu Frage 1.7). Zwar begründet die lnhaftierung einer Person als
solche keine Verletzung von Art. 3 EMRK. Die Mitgliedstaaten sind aber verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind, die Gefangenen nicht Leiden oder Härten unterworfen sind, die die mit einer Haft unvermeidbar verbundenen Beeinträchtigungen übersteigen, und dass Gesundheit und Wohlbefinden der Gefangenen unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 -, juris; EGMR, Urteil vom 03.05.2016 – 56796/13 -, HUDOC m.w.N.). Wie aktuellen Erkenntnismitteln zu entnehmen ist, widersprechen die Haftbedingungen in der Corradino Correctional Facility in mancherlei Hinsicht den Mindestanforderungen, die das Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) an Haftanstalten stellt (vgl. Council of Europe, Report to the Maltese Government on the visit to Malta carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and lnhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 3 to 10 September 2015, 25.10.2016). Trotz wahrnehmbarer Verbesserungen im Laufe der näheren Vergangenheit werden die Größe der Zellen, die hygienischen Bedingungen, der eingeschränkte Zugang zu genießbarem Trinkwasser sowie der mangelnde Schutz vor extremen Temperaturen bemängelt (ebd.). Solche Umstände können eine Verletzung von Art. 3 EMRK zur Folge haben (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 03.05.2016 – 56796/13 -, HUDOC m.w.N.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 08.10.2014 – A 8 K 345/14 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2014 – 12 B 1217/14 -, juris m.w.N.).

Auch wenn dem Antragsteller keine illegale Ausreise vorgeworfen werden sollte, ist auf Grund seines Status als Asylbewerber mit einer lnhaftierung zu rechnen (UNHCR, Malta – Progress under the Global Strategy – Beyond Detention 2014-2016, August 2016; UNHCR, Observations on Malta’s Revised Legislative and Policy Framework for the Reception of Asylum-Seekers, 25.02.2016; Amnesty International – Malta 2017, v. 19.05.2017, abrufbar unter […]). Zwar sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr alle Asylbewerber zwingend in Haft zu nehmen (ebd.). Die nunmehr geplanten Erstaufnahmezentren für Asylbewerber seien nach Ansicht des UNHCR jedoch ebenfalls als Haftanstalten zu bewerten, wodurch ihre Rechtmäßigkeit nach maltesischem Recht fraglich sei (ebd.). Der UNHCR äußert zudem Bedenken in Bezug auf die interpretation der rechtlichen Grundlage, auf die eine lnhaftierung gestützt werden kann (ebd.). Auch müsse ein Verfahren eingerichtet werden, welches gewährleiste, dass die lnhaftierung im Einzelfall verhältnismäßig sei (ebd.). Einige der neu eingeführten Normen seien nicht mit international anerkannten Menschenrechten und dem internationalen Flüchtlingsrecht zu vereinbaren und könnten zu einer willkürlichen und illegalen lnhaftierung führen (ebd.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
stellte wiederholt eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Malta mit Blick auf die lnhaftierung von Asylbewerbern fest (vgl. Urteile vom 23.07.2013 – 42337/12 – Suso Musa/Malta -, vom 23.7.2013 – 55352/12 – Aden Ahmed/Malta -, vom 26.11.2015 – 10290/13 – Mahamed Jama/Malta -‚ und vom 03.05.2016 – 56796/13 – Abdi Mahamadu/Malta -, HUDOC). Der Gerichtshof erkannte jeweils eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 und 4 EMRK, weil die lnhaftierung der Kläger nicht mehr mit Blick auf ihren Zweck – auf Grund illegaler Einreise bzw. zur Vorbereitung der Abschiebung – habe gerechtfertigt werden können und durch die maltesische Rechtsordnung den Betroffenen kein effektiver und schneller Rechtsschutz zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung gewährleistet werden sei (ebd.). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Praxis nach Änderung der Rechtslage insoweit entwickelt (ebenso: UNHCR, Observatlons on Malta’s Revised Legislative and Policy Framework for the Reception of Asylum-Seekers, 25. Februar 2016).

Im Übrigen sind nicht nur die Haftbedingungen, sondern auch die Bedingungen in einigen offenen und geschlossenen Zentren nach wie vor mangelhaft. ACCORD berichtet im Mai 2017 (Anfragenbeantwortung zu Malta: Informationen zur Lage von Asylbewerbern; Versorgung, Unterbringung, lnhaftierung, Zugang zu Asylverfahren; […]):

Mit Vemeis auf das US-Außenministerium vom März 2017 (Berichtszeitraum 2016), hätten in den Sommermonaten in einigen offenen und geschlossenen Zentren hohe Temperaturen geherrscht und eine unangemessene Belüftung in vorgefertigten Wohneinheiten würde zu unkomfortablen Lebensbedingungen beitragen. Ähnlich wird AIDA vom März 2017 wiedergegeben, wonach die große Anzahl der Personen, die in jedem Zentrum untergebracht seien (beispielsweise etwa 400 in Marsa Open Centre) unvermeidlich zu schweren Problemen hinsichtlich Hygiene und Instandhaltung führen würden. Insgesamt seien die Lebensbedingungen in den offenen Zentren mit wenigen Ausnahmen sehr schwierig. Die hauptsächlichen Bedenken würden sich auf einen niedrigen Hygienegrad, starke Überbelegung, Mangel körperlicher Sicherheit, die Standorte der meisten Zentren in abgelegten Gebieten Maltas, materiell schlechte Bauten und den gelegentlichen Rattenbefall beziehen.

Es bestehen somit aktuell noch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass bei Gesamtschau der von der maltesischen Regierung in den letzten Jahren ergriffenen Maßnahmen davon auszugehen ist, dass derzeit schon mit einer europarechtskonformen Situation der Flüchtlingsaufnahme in Malta zu rechnen ist (VG Arnsberg, Beschluss vom 29.08.2017 – 5 L 2272/17.A -, juris Rn. 39; VG Magdeburg, Beschluss vom 28.07.2017 – 8 B 323/17 -‚ juris; VG Hannover, Urteil vom 05.02.2018 — 11 A 12328/17 -).

Wirtschafts Blatt: Der Arbeitsstrich auf Malta sichert das Überleben vieler Flüchtlinge

Politisch und medial steht das Thema Flüchtlinge in Europa weit oben auf der Agenda. In der Diskussion um die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union stehen aber oftmals nationalstaatliche Interessen und Zahlen im Vordergrund. Leicht vergisst man da, dass diese Menschen meist tragische, persönliche Schicksale und Geschichten erlitten haben. Wie jene Asylsuchenden, die in Malta am Arbeitsstrich ihr Überleben sichern. Von Europa fühlen sie sich im Stich gelassen. „Wirklich interessieren tun sich die wenigsten für uns“, sagt Joseph, ein Flüchtling aus Eritrea im Gespräch mit der APA in Malta. Hoffnungslos überfordert sei die maltesische Regierung, aber wohl auch die gesamte EU, meint der Mittdreißiger. Weil sie vom Staat nur bis zu 300 Euro pro Monat – wenn überhaupt – erhalten, versuchen viele der Flüchtlinge, auf den Straßen Tagesjobs zu ergattern.

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OVG Sachsen-Anhalt 4. Senat / Az.: 4 L 48/15 bzw. 5 A 118/13 MD / Malta

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Siehe auch den Beschluss des OVG Sachsen-Anhalt vom 25.10.2015

Der Bewertung des Verwaltungsgerichts hat die Beklagte keine weiteren, neuen oder von dem Verwaltungsgericht nicht berücksichtigten Erkenntnismittel entgegengesetzt, nach denen hinreichende Anhaltspunkte für eine andere Tatsacheneinschätzung besehen. Denn sie hat sich inhaltlich fast garnicht mit den Darlegungen des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, das auf der Grundlage der genannten Beiträge davon ausgeht, „Dublin-Rückkehrer“ würden in der Regel in sog. „Open-Centres“ untergebracht, bei denen alles in allem die Lebensumstände, abgesehen von wenigen Ausnahmen, auf Grund niedriger hygienischer Standards, schwerer Überbelegung, fehlen von physischer Sicherheit, Platzierung in abgelegenen Gegenden und Rattenplagen extrem  herausfordernd seien […]. Dass keine Empfehlung des UNHCR bestehe, Überstellungen nach Malta zu unterlassen, und auch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) der Europäischen Kommission bisher nicht über systemische Mängel in Malta berichtet habe, ist trotz der besonderen Bedeutung dieser Stellungnahmen […] angesichts der vom Verwaltungsgericht benannten, detaillierten Berichte verschiedener Menschenrechtsorganisationen ebenfalls nicht ausreichend […]. Es ist […] Aufgabe der Beklagen, durch die Benennung bestimmter Auskünfte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, sondern – mit der Folge der etwaigen Durchführung eines Berufungsverfahrens – ihre gegenteilige Bewertung in der Antragsschrift zutreffend ist. Insbesondere ist es nicht ausreichend, pauschal auf andere Berichte und Stellungnahmen zu verweisen, ohne nähere Ausführungen zu deren Inhalt zu treffen und diese konkret zu belegen.

VG Gelsenkirchen 7. Kammer / Az.: 7 a L 340/15.A / Malta

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Siehe Beschluss 13 L 2852/14.A des VG Düsseldorf vom 2.2.2015

Nach den dem Gericht vorliegenden Berichte und Erkenntnismitteln  […] gelangt das Gericht zu der Beurteilung, dass die Praxis der Republik Malta, Asylsuchende auf der Grundlage der Migrationsgesetzes Maltas („Immigration Act“)     systematisch und routinemäßig, das heißt nicht aufgrund einer Einzelfallprüfung, sondern im Regelfall und nicht nur kurzfristig, sondern für eine Dauer von bis zu 12 Monaten (bei Asylbewerbern, über deren Antrag noch nicht entschieden wurde) bzw. 18 Monaten (bei abgelehnten Asylbewerbern) zu inhaftieren, die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung i. S. d. Art. 4 GR-Charta begründen kann. Da es sich nach den vorliegenden Berichten um eine ständige Praxis des Aufnahmestaats handelt, dürfte das Aufnahmeverfahren in diesem Fall nicht nur vereinzelte, sondern systemische Schwachstellen aufweisen […]. Das Gericht verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 2. Februar 2015 (13 L 2852/14.A), denen sich das erkennende Gericht anschließt. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat insoweit ausgeführt […].

Amnesty International: Automatic migrant detention breach of Malta’s human rights obligations

The automatic detention of undocumented migrants for up to 18 months and of asylum seekers for up to 12 months is “in breach of Malta’s international human rights obligations”, human rights experts have warned. In its annual ‘State of the World’s Human Rights’ report, human rights organisation Amnesty International said that Malta’s search and rescue operations at sea, limited at disembarking refugees and migrants in its territory, is too “restrictive”.

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VG Düsseldorf 13. Kammer / Az.: 13 L 2852/14.A / Malta

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Die Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (AufnahmeRL), enthält für die Inhaftierung von Asylbewerbern Mindeststandards. Haft darf danach nicht allein deswegen angeordnet werden, weil der Betroffene einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gestellt hat, sondern nur in Ausnahmefällen, insbesondere zur Überprüfung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit, bei Fluchtgefahr im Falle notwendiger Beweissicherung, zur Prüfung des Einreiserechts, zur Durch- oder Fortführung eines Abschiebeverfahrens, wenn die Gefahr der Verzögerung oder der Vereitelung durch den Betroffenen besteht
und bei Gefahr für die nationale Sicherheit und Ordnung (Artikel 8 Absatz 1 und 3 AufnahmeRL). Die Inhaftierung darf nur für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange, wie die Gründe gemäß Artikel 8 Absatz 3 bestehen, angeordnet werden (Artikel 9 Absatz 1 Satz 1 AufnahmeRL). Die Haftanordnung ist zu begründen (Artikel 9 Absatz 2 AufnahmeRL); bei einer Anordnung durch eine Verwaltungsbehörde ist eine zügige Überprüfung durch ein Gericht herbeizuführen (Artikel 9 Absatz 3 AufnahmeRL). In diesem Fall soll dem Betroffenen unentgeltlicher Rechtsbeistand zur Verfügung stehen (Artikel 9 Absatz 6 AufnahmeRL). Auch im Übrigen ist eine turnusmäßige Haftüberprüfung von Amts wegen vorzusehen (Artikel 9 Absatz 5 AufnahmeRL). Die Schutzsuchenden sind in speziellen Hafteinrichtungen unterzubringen, auf jeden Fall aber getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen (Artikel 10 Absatz 1 AufnahmeRL). Die Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen ist nur im Ausnahmefall und unter weiteren sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig (Artikel 11 AufnahmeRL). Gemessen hieran liegen nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln erhebliche Anhaltpunkte dafür vor, dass jedenfalls die Haftpraxis Maltas Asylbewerbern gegenüber nicht im Einklang mit internationalem und europäischem Recht steht […].

Zu der Inhaftierungspraxis Maltas lassen sich derzeit folgende – vorläufige – Feststellungen treffen: Ausweislich verschiedener dem Gericht vorliegender Auskünfte werden in Malta Flüchtlinge, die in aller Regel ohne die erforderlichen Papiere irregulär und damit illegal einreisen, systematisch und routinemäßig inhaftiert […]. Die Praxis routinemäßiger Inhaftierung treffe (zunächst) auch die Gruppe von Schutzsuchenden mit besonderem Bedürfnissen („Verletzliche“) wie unbegleitete Minderjährige, Schwangere, Familien mit (minderjährigen) Kindern, Menschen mit Behinderungen etc., so lange, bis das Verfahren zur Anerkennung ihrer Verletzlichkeit abgeschlossen sei, was je nach Erkennbarkeit dieses Umstandes kürzer oder länger dauern könne. Dabei würden diejenigen Betroffenen, deren besonderer Status nicht ohne Weiteres erkennbar sei, wie unter Umständen psychisch Kranke oder ältere Minderjährige zunächst zusammen mit Flüchtlingen ohne besondere Bedürfnisse untergebracht. Das Migrationsgesetz enthalte keine Bestimmung zur maximalen Haftdauer. Sei über einen Asylantrag innerhalb eines Jahres noch nicht entschieden, erfolge die  Freilassung des Antragstellers aufgrund einer Verwaltungsbestimmung, die dem Betroffenen den Zugang zum Arbeitsmarkt nach zwölf Monaten zuerkenne. Abschiebehaft sei ebenfalls auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften auf maximal 18 Monate begrenzt […].

Zudem deuten die dem Gericht vorliegenden Auskünfte darauf hin, dass die bestehenden gesetzlichen und administrativen Regelungen keine effektiven und zügig durchgeführten Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit und Angemessenheit der Inhaftierung bieten […].

Zu der speziellen – und vorliegend allein maßgeblichen – Situation von Dublin-Rückkehreren liegen dem Gericht lediglich folgende vorläufige Erkenntnisse vor: Verlasse ein Asylsuchender Malta ohne eine entsprechende Genehmigung, gebe es Schwierigkeiten nach der Rücküberstellung Zugang zum Asylverfahren zu erhalten. Denn der in Malta gestellte Asylantrag gelte infolge der Ausreise als stillschweigend zurückgenommen. Zwar bestehe für Dublin-Rückkehrer die Möglichkeit, die Wiedereröffnung ihres Verfahrens zu beantragen (Folgeantrag). Während der – zum Teil mehrere Monate dauernden – Überprüfung des Folgeantrags durch die zuständige Flüchtlingskommission könnten die Antragsteller indes in ihren Heimatstaat abgeschoben werden. Hinzukomme, dass Asylbewerber, die auf irreguläre Weise Malta verlassen, Gefahr liefen, auf der Grundlage des Zuwanderungsgesetzes verhaftet und vor dem Strafgericht angeklagt zu werden. Während der Dauer des
Strafverfahrens blieben die Asylbewerber in der Justizvollzugsanstalt inhaftiert […].

Jedenfalls bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass Dublin-Rückkehrer nach ihrer Ankunft in Malta grundsätzlich einem hohen Risiko längerfristiger Inhaftierung ohne hinreichende Rechtschutzmöglichkeiten und der Gefahr entgegen des Refoulement-Verbots in ihr Herkunftsland, ohne eine Entscheidung über ihren Asyl(folge)antrag, abgeschoben zu werden, ausgesetzt sind. Vorbehaltlich der Bestätigung und Konkretisierung dieser Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren ist daher jedenfalls im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes davon auszugehen, dass eine solche Behandlung von Asylbewerbern, mit der sie der Willkür der zuständigen Behörden ausgesetzt werden und letztlich zum reinen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt werden, die für eine Verletzung von Artikel 3 EMRK bzw. Artikel 4 EU-Gr-Charta erforderliche Schwere aufweisen dürfte, sodass es jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren nicht mehr darauf ankommt, ob auch die konkreten Haftbedingungen selbst inhaftierten Asylbewerbern weiteren Leiden und
Härten unterwerfen, die das mit einer Haft unvermeidbare Maß übersteigen.

aida Länderbericht zu Malta

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Dieser ausführliche, vom  Jesuit Refugee Service auf Malta erstellte Bericht bezieht Entwicklungen bis Februar 2015 mit ein.

VG Minden 1. Kammer / Az.: 1 L 551/14.A

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Die Haftbedingungen bezüglich Migranten und damit auch Asylbewerbern gegenüber stehen nicht im Einklang mit internationalem und europäischen Recht […]. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln genügt das in Malta durchgeführte Asylverfahren gegen die geschilderten europarechtlichen Standards nicht nur um Einzelfall.  So wird zur Haftpraxis berichtet, dass alle Flüchtlinge routinemäßig in sog. Detention Centers inhaftiert würden […]. Auf besondere Schutzbedürftigkeit werde nur geachtet, wenn und soweit diese offensichtlich sei […]. Die Zustände in den Detention Centers hätten sich in den letzten Jahren zwar (teilweise) verbessert. In vielen Bereichen sei die Versorgung der Grundbedürfnisse jedoch noch lückenhaft und vor allem bei der immer vorkommenden Überbelegung inakzeptabel (vgl. auch Aden Ahmed gegen Malta, Entscheidung des EGMR vom 23.07.2913, Nr. 55352/12, HUDOC). Insbesondere sei der Zugang zu medizinischer Versorgung absolut ungenügend […]. Auch sei keine effektive Möglichkeit gegeben, eine Haftüberprüfung zu erreichen […]. Die Freilassung von Asylbewerbern erfolge in der Regel auf Grundlage einer Verwaltungsbestimmung nach einem Jahr, wenn zu diesem Zeitpunkt nicht über den Asylantrag entschieden worden sei. Die Unterbringung erfolge dann in sog. Open Detention Centers. Die Zustände dort werden ebenfalls als prekär beschrieben. Inhaftierung von unbestimmter Dauer des anschließenden Verfahrens treffe grundsätzlich auch Dublin-Rückkehrer, weil sie entweder in den Stand vor ihrer Ausreise – also in alle Regel als illegal Eingereiste – versetzt würden oder sogar wegen Flucht aus der Haft in Malta wegen illegaler Ausreise zur Strafhaft verurteilt würden (so z.B. im Fall Aden Ahmed gegen Malta ,Entscheidung des EGMR vom 23.07.2013, Nr. 55352/12, HUDOC). Zusätzlich würde die Situation von Dublin-Rückkehrern dadurch erschwert, dass der monatliche Unterstützungsbeitrag von regulär ca. 130,00 Euro auf ca. 80,00 Euro gekürzt werde, womit sich eine Person maximal „so gerade ernähren“ könne (Auskunft der Deutschen Botschaft Valletta vom 02.02.2012). Dies wiege umso schwerer, weil Asylsuchende die Kosten für die Inanspruchnahme von medizinischen Dienstleistungen und Medikamenten – solche überhaupt erhältlich seien – teilweise selbst tragen müssten […]. Es spricht vieles dafür, dass es sich bei den geschilderten Haftbedingungen nicht nur um Einzelfälle handelt, die Schutzsuchende vereinzelt oder zufällig treffen. Angesichts dieser Erkenntnislage kann von der Vermutung, dass den Asylsuchenden in Malta eine Behandlung zukommt, die den Erfordernissen der Grundrechtescharta, der Genfer Flüchtlingskonventionen und er Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht, nicht mehr ohne Weiteres ausgegangen werden, weil hinreichenden Mängel des Aufnahmeverfahrens uns seiner Aufnahmebedingungen vorliegen.