VG Braunschweig 4. Kammer / Az.: 4 B 273/15 / Ungarn

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[Es] ist davon auszugehen, dass Ungarn derzeit keine Flüchtlinge mehr zurücknimmt, die in andere Mitgliedsstaaten weitergereist sind. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat hierzu in dem Urteil vom 19.06.2015 – 13 A 1294/15 – Veröffentlichung nicht bekannt) ausgeführt:

„Hier hat das Bundesamt dem Gericht in den Verfahren 13 A 1441/15 und 13 B 1440/15 auf Nachfrage mitgeteilt, die ungarischen Behörden hätten darum gebeten, bis zum 19 Mai 2015 keine Überstellungen nach Ungarn mehr durchzuführen. Im Klageverfahren 13 A 1408/15 ist dem Gericht vom Bundesamt sodann auf detaillierte Nachfrage u.a. zu den im Jahr 2015 aus Deutschland durchgeführten Überstellungen und den Kriterien, nach welchen bestimmt wird, welche Asylsuchenden tatsächlich überstellt würden, mit Schriftsatz vom 30. April 2015 ein Vermerk folgenden Inhalts vorgelegt worden:

1. Die ungarische Dublin Unit hat den Mitgliedsstaaten am 27. April mitgeteilt, dass bis einschl. 09.06.2015 keine Überstellungen durchgeführt werden können, da die Kapazitäten erschöpft seien.

2. Im Zeitraum Januar bis März 2015 wurden 2957 Übernahmeersuchen an Ungarn gestellt, in 2300 Fällen wurde zugestimmt. Im gleichen Zeitraum erfolgten 32 Überstellungen nach Ungarn. Eine Prognose, wieviel Flüchtlinge Ungarn in diesem Jahr voraussichtlich noch zurücknehmen wird, kann von hier aus nicht abgegeben werden.

3. Für die Überstellung gibt es keine konkreten Kriterien, das Überstellungsverfahren wird zeitnah nach Vollziehbarkeit eingeleitet. Allenfalls wird die verbleibende Überstellungsfrist für eine beschleunigte Einleitung des Überstellungsverfahrens herangezogen.“

In den Verfahren […] hat das Bundesamt mit Schriftsatz vom 13. Mai 2015 u.a. mitgeteilt: „Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass aktuell Rückführungen nach Ungarn bis 02.07.2015 nicht möglich sind. Wann sich diese Situation ändert, ist nicht absehbar“. In einer Mitteilung des Bundesamts vom 27. Mai 2015 im Klageverfahren […] ist davon die Rede, dass die Kapazitäten der ungarischen Behörden für eine Rückführung bis Mitte Juli 2015 erschöpft seien. Im neusten Schreiben des Bundesamts vom 15. Juni 2015 im Klageverfahren […] heißt es u.a., die Kapazitäten seien bis zur 34. KW ausgeschöpft.“

Daneben hat das Verwaltungsgericht Stade in dem Beschluss vom 11.06.2015 – 6 B 815/15 – (Veröffentlichung nicht bekannt) folgendes ausgeführt:

„Aus dem vom Antragsteller in dieses Verfahren eingeführten Vermerk des Bundesamts vom 30.04.2015 […] ist ersichtlich, dass die ungarische Dublin-Unit den Mitgliedstaaten mitgeteilt hat, dass Ungarn zunächst bis zum 09.06.2015 keine Überstellungen akzeptieren wird, da die Kapazitäten dort erschöpft seien. Das Bundesamt hat gegenüber anderen Kammern dies Gerichts diesen Umstand bestätigt und ergänzend mitgeteilt, dass diese Frist zwischenzeitlich bis zum 05.08.2015 verlängert worden ist  […]. Unter welchen Umständen von dieser Praxis wieder abgerückt werden könnte, ist nicht ersichtlich. Zudem hat die Antragsgegnerin hierzu trotz Aufforderung des Gerichts keine Stellung genommen, z.B. durch Vorlage von aktuellen entgegenstehenden Erkenntnisen des für Ungarn zuständigen Liaisonbeamten.“

Diese Angaben stimmen mit den derzeitigen Presseberichten überein, aus denen sich ergibt, dass Ungarn keine Flüchtlinge mehr zurücknimmt, die in andere Mitgliedstaaten weitergereist sind (vgl. http://www.sueddeutsche.de/politik/fluechtlinge-in-europa-ungarn-schottet-sich-ab-1.2534693; http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-setzt-eu-asylbewerberregeln-ausser-kraft-a-1040329.html; http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/ungarn-will-keine-fluechtlinge-mehr-aufnehmen-13664323.html).

Die Verwaltungsgerichte Stade (Urteil vom 24.06.2015 – 6 A 159/15) und Lüneburg (Urteil vom 26.06.2015 – 6 A 446/14) haben Abschiebungsanordnungen jeweils im Hauptsacheverfahren wegen der zu den Zeitpunkten der mündlichen Verhandlung feststehenden Nichtdurchführbarkeit  einer Abschiebung nach Ungarn aufgehoben. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse geht die Kammer davon aus, dass jedenfalls derzeit bis zum Abschluss der 34. Kalenderwoche, mithin dem 23.08.2015, eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Ob nach diesem Zeitpunkt Abschiebungen durchgeführt werden können, steht derzeit nicht fest.