Der Betroffene […] reiste unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht Kempten am 09.07.2015 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung nach Ungarn […] angeordnet. Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Betroffenen vom 29.07.2015. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen […]. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts ist die Haftanordnung, die das Amtsgericht im angefochtenen Beschluss vom 09.07 ausgesprochen hat, nicht zulässig. Nach § 62 3 S. 3 AufenthG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten 3 Monate durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat zwischenzeitlich eine neue Leitlinie bekannt werden lassen, wonach das Dublin-Verfahren für syrische Staatsangehörige ausgesetzt wird. Das bedeutet, syrische Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragt haben, nicht mehr nach der Dublin-III-VO in die EU-Länder zurückgeschoben werden, in denen sie zuerst registriert worden sind, insbesondere nicht nach Ungarn. Die Leitlinie ist unbefristet. Vor diesem Hintergrund kommt in absehbarer Zeit, jedenfalls nicht innerhalb der nächsten 3 Monate, eine Zurückschiebung nach Ungarn nicht in Betracht, erst recht nicht unter Berücksichtigung der Situation der Flüchtlinge in Ungarn, die in den von der Beschwerdeführerin zitierten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen thematisiert wird. Abgesehen davon wäre eine fortdauernde Inhaftierung des Betroffenen vor diesem Hintergrund auch unverhältnismäßig. Nach alledem war der Haftbefehl des Amtsgerichts aufzuheben.
Archiv der Kategorie: Asylantrag gestellt
VG Düsseldorf 22. Kammer / Az.: 22 L 2558/15.A / Ungarn
Demgegenüber ergeben sich jedoch hinsichtlich des Asylverfahrens in Ungarn solche hinreichenden Anhaltspunkte aus den am 6. Juli 2015 beschlossenen und zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderungen des ungarischen Asylrechts, soweit sie sich aus frei zugänglichen Veröffentlichungen ergeben[…]. Insbesondere begründet die Aufnahme von Serbien – neben allen anderen an Ungarn angrenzenden Staaten – in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass der betroffene Antragsteller keinen Zugang zu einem Asylverfahren erhält, in dem eine inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe vorgenommen würde. Es besteht die Gefahr, dass er bei einer Überstellung nach Ungarn durch die dortigen Behörden ohne inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe nach europäischen Mindeststandards beispielsweise nach Serbien abgeschoben wird. Nach den Feststellungen des Europäischen Kommissars für Menschenrechte ist jedoch jedenfalls hinsichtlich Serbien äußerst zweifelhaft, dass das dortige Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen […]. Damit liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Ungarn eine weitere Abschiebung in ein nicht sicheres Drittland und damit in sein Herkunftsland droht, ohne ihm Zugang zu einem Verfahren auf Zuerkennung internationalen Schutzes zu gewährleisten in dem seine Fluchtgründe inhaltlich geprüft werden. Darin läge zugleich ein Verstoß gegen das Refoulement-Verboten zu Lasten des Antragstellers […].
VG Düsseldorf 22. Kammer / Az.: 22 L 2559/15.A / Ungarn
Demgegenüber ergeben sich jedoch hinsichtlich des Asylverfahrens in Ungarn solche hinreichenden Anhaltspunkte aus den am 6. Juli 2015 beschlossenen und zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderungen des ungarischen Asylrechts, soweit sie sich aus frei zugänglichen Veröffentlichungen ergeben[…]. Insbesondere begründet die Aufnahme von Serbien – neben allen anderen an Ungarn angrenzenden Staaten – in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass der betroffene Antragsteller keinen Zugang zu einem Asylverfahren erhält, in dem eine inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe vorgenommen würde. Es besteht die Gefahr, dass er bei einer Überstellung nach Ungarn durch die dortigen Behörden ohne inhaltliche Prüfung seiner Fluchtgründe nach europäischen Mindeststandards beispielsweise nach Serbien abgeschoben wird. Nach den Feststellungen des Europäischen Kommissars für Menschenrechte ist jedoch jedenfalls hinsichtlich Serbien äußerst zweifelhaft, dass das dortige Asylverfahren und die dortigen Aufnahmebedingungen den europäischen Mindestanforderungen entsprechen […]. Damit liegen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Ungarn eine weitere Abschiebung in ein nicht sicheres Drittland und damit in sein Herkunftsland droht, ohne ihm Zugang zu einem Verfahren auf Zuerkennung internationalen Schutzes zu gewährleisten in dem seine Fluchtgründe inhaltlich geprüft werden. Darin läge zugleich ein Verstoß gegen das Refoulement-Verboten zu Lasten des Antragstellers […].
Stellungnahme des Ungarischen Helsinki Komitees
In dieser aktuellen, englischsprachigen Stellungnahme beschreibt und bewertet das Ungarische Helsinki Komitee die Gesetzesverschärfungen in Ungarn, welche zum 1.7.2015 in Kraft getreten sind.
VG Frankfurt Oder 3. Kammer / Az.: VG 3 L 169/15.A / Ungarn
Aus Anlass des vorliegenden Verfahrens kann offen bleiben, ob diese Bereitschaft durchgreifend dadurch in Zweifel gezogen wird, dass zwischenzeitlich berichtet worden war, die ungarische Regierung habe beschlossen, die europäische Dublin III-Verordnung einseitig und auf unbestimmte Zeit zu suspendieren; dementsprechend werde Ungarn keine in andere EU-Länder weitergereiste Flüchtlinge mehr zurücknehmen […]. Denn eine Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn ist jedenfalls aus Gründen höherrangigen Rechts unzulässig.
Eine Abschiebung in den als zuständig erkannten Mitgliedstaat kommt nicht in Betracht, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass – erstens – das Asylverfahren und die Aufnahmebedigungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die – zweitens – die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen […].
Die Kammer hat in ihren bisherigen Entscheidungen über Eilanträge gegen Bescheide der Antragsgegnerin, in denen eine Abschiebungsanordnung mit dem Zielstaat „Ungarn“ im Streit stand, allerdings den Standpunkt eingenommen, es lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte für systemische Mängel des ungarischen Asylsystems vor und sich dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Juli 2014 […] gestützt […].
Daran kann aufgrund neuerer Entwicklungen nicht länger festgehalten werden. So wird inzwischen berichtet, die zuständigen Behörden dürften Asylanträge künftig ablehnen bzw. – nach anderer Wiedergabe – „annullieren“, wenn ein Antragsteller die zugewiesene Unterkunft länger als 48 Stunden ohne Genehmigung verlassen habe (vgl. Deutsche Welle vom 6. Juli 2015 – http://www.dw.com/de/ungarn-versch%C3%A4rft-sein-asylrecht/a-18564893 -; Online-Ausgabe der Neuen Züricher Zeitung vom 6. Juli 2015 – http://www.nzz.ch/international/ungarn-verschaerft-asylrecht-1.18575444 -; Online-Ausgabe der taz vom 6 Juli 2015 – http://www.taz.de/!5210652/ -; Online-Ausgabe des Spiegel vom 6. Juli 2015 – http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-verschaerft-gesetz-zur-aufnahme-von-fluechtlingen-a-1042314.html -; Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 6. Juli 2015 – http://www.fr-online.de/politik/fluechtlinge-ungarn-verschaerft-asylrecht,1472596,31137758.html).
Die der bisher vertretenen Auffassung zu Grunde gelegten Tatsachen haben sich damit in wesentlicher Hinsicht geändert. Denn ohne weitere Aufklärung kann nicht länger davon ausgegangen werden, dass dem Antragsteller im Falle seiner Abschiebung auf der Grundlage der Dublin III-VO eine im ungarischen Asylsystem vorgesehene Rückkehr in das Asylverfahren möglich sein wird, die ihn vor einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung schützt. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass einerseits schon die tatsächlichen Grundlagen der gerichtlichen Bewertung auf Darstellungen der entsprechenden Medien beruhen, die sich durchaus unterscheiden (etwa darin, ob der Asylantrag „abgelehnt“ bzw. „annulliert“ wird). Auch steht derzeit nicht mit Sicherheit fest, was genau die Konsequenzen aus einer Ablehnung oder Annullierung des Asylantrages wären und ob sich daraus zwingend ein systemischer Mangel des ungarischen Asylverfahrens ergeben müsste. Immerhin enthalten auch andere Rechtsordnungen rechtliche Grundlagen dafür, ein Asylverfahren, welches vom jeweiligen Antragsteller nicht betrieben wird, als zurückgenommen zu behandeln […], ohne dass deshalb vom Vorliegen derartiger Schwachstellen auszugehen wäre. Es besteht dann aber die Möglichkeit der Einleitung eines Asylfolgeantragsverfahrens, in dessen Rahmen ein Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung auch dann zu gewähren ist, wenn die Zuerkennung von Asyl bzw. Flüchtlingsschutz selbst nicht mehr in Betracht kommt. Anhaltspunkte dafür, dass Vergleichbares für das ungarische Asylsystem gilt, sind nicht vorhanden. Kann nach alledem ohne weitere Ermittlungsmaßnahmen nicht mehr im Anschluss an das zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Juli 2014 unterstellt werden, dass systemische Bedenken gegen das ungarische Asylsystem dadurch ausgeräumt werden, dass trotz einer Rückführung auf der Grundlage der Dublin III-VO nach Ungarn ein voller Zugang zum dortigen Asylverfahren besteht, ist für die notwendige Aufklärung dieser Frage im Hauptsacheverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Das gebietet auch eine Bewertung der Folgen, die für den Antragsteller eintreten, wenn sein Eilantrag abgelehnt wird, sich im Hauptsacheverfahren aber systemische Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens erweisen sollten. Bedeutet nämlich die in der Presse berichtete Änderung der ungarischen Gesetze, dass mit einer schon 48 Stunden nach Entfernung aus der zugewiesenen Aufnahmeeinrichtung möglichen Ablehnung bzw. Annullierung des Asylantrages keine Rückkehr in dieses Verfahren mehr möglich ist und insbesondere auch keine Prüfung mehr stattfindet, ob – unterhalb des Flüchtlingsschutzes – Schutz gegen Gefahren für Leib und Leben zu gewähren ist, dann bestünde auf die Gefahr einer Weiterschiebung, eventuell im Wege einer Kettenabschiebung sogar in den Herkunftsstaat. Außerdem ist dann offen und wäre deshalb im Hauptsacheverfahren ebenfalls zu klären, ob einem Rückkehrer, der auf der Grundlage der Dublin III-VO nach Ungarn abgeschoben worden ist und dort nicht in das Asylverfahren zurückkehren kann, zumindest die – ihrerseits schon vielfach kritisierten – Unterbringungsmöglichkeiten in den Aufnahmezentren zur Verfügung stehen würden.
VG München 22. Kammer / Az.: M 22 S 15.50169 / Ungarn
Die Aussagen und Einschätzungen in den vorliegenden Erkenntnismitteln bewertet das Gericht (vorläufig) dahin, dass nicht als hinreichend verlässlich festgestellt werden bzw. davon ausgegangen werden kann, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bzw. die Art und Weise der Verfahrensabhandlung in Ungarn eindeutig den europarechtlichen Standards nicht (mehr) genügen würden und dadurch bedingt nach Ungarn überstellte Asylbewerber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Behandlung zu rechnen hätten, die gegen Art. 4 EU-Grundrechtecharta verstoßen würde. Es liegen aber durchaus gewichtige Anhaltspunkte vor – insbesondere mit Blick auf die vorhandenen Kapazitätsengpässe und die Informationen zur Praxis bei der Verhängung bei Asylhaft -, die die Wertung, das ungarische Asylsystem weise solche gravierenden Mängel auf, möglicherweise im Ergebnis doch rechtfertigen könnten. Am Rande sei in diesem Zusammenhang bemerkt, dass das Gericht auch der Auffassung zuneigt, dass die ausländerfeindliche Rhetorik in Bezug auf den Umgang mit Asylbewerbern, derer sich ungarische staatliche Stellen bzw. Mitglieder der ungarischen Regierung in letzter Zeit zunehmend bedienen (vgl. dazu etwa UNHCR, Pressemitteilung vom 08.05.2015: „UNHCR calls on Hungary to protect, not persecute refugees“ und Pester Llyod vom 12.06.2015: „Flüchtlinge entfernen“) für die Beurteilung nicht von vorneherein außer Betracht bleiben kann, sondern dies im Verein mit sonstigen in diese Richtung weisenden Umständen zumindest als Indiz für eine mangelnde Bereitschaft, die relevanten Standards zuverlässig zu gewährleisten, zu werten sein könnte. Im Ergebnis ist jedenfalls davon auszugehen, dass es einer weiteren Prüfung der Problematik bedarf, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.
VG Köln 20. Kammer / Az.: 20 L 1735/15.A / Ungarn
Ungarn war zwar nach Aktenlage für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig und hat dem Wiederaufnahmeersuchen der Bundesrepublik vom 21.05.2015 mit Schreiben vom 02.06.20185 zugestimmt und seine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags erklärt. Es liegen aber konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Ungarn nicht an die zu fordernden und bei Einführung des § 27 a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heranreichen und systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn bestehen. Insbesondere werden Asylbewerber, gerade auch sog. Dublin-Rückkehrer, praktisch ausnahmslos inhaftiert, wobei sowohl hinsichtlich des Verfahrens der Haftanordnung als auch hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Haftanordnung Anhaltspunkte für eine grundrechtsverletzende, willkürliche und nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Inhaftierungspraxis bestehen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Inhaftierung von besonders schutzbedürftigen Personen […], zu denen gerade Schutzsuchende aus Syrien wegen der dortigen dramatischen Entwicklung der Bürgerkriegssituation und der infolgedessen erlittenen traumatisierenden Erfahrungen regelmäßig gehören dürften. Unter der Berücksichtigung der vorgenannten Berichte bestehen gewichtige Zweifel an der grundlegenden Einhaltung der gemäß Art. 28 Dublin III-VO in Verbindung mit Art. 9-11 der Aufnahmerichtlinie […] einzuhaltenden Standards. Als kritisch ist auch die Frage der Behandlung der Asylanträge von sog. Dublin-Rückkehren zu bewerten. Zwar werden nach einer Änderung des ungarischen Asylgesetzes Dublin-Rückkehrern nun grundsätzlich der Zugang zum Asylverfahren und eine vollständige Prüfung der Asylgründe garantiert. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn der Asylbewerber seinen ursprünglichen stillschweigend oder schriftlich zurückgenommen hat. Dann wird nämlich der erneut zu stellende Antrag als unzulässig oder offensichtlich unbegründet angesehen und Rechtsmittel gegen eine derartige Entscheidung haben keine aufschiebende Wirkung. Daneben gibt es die Möglichkeit einer negativen Entscheidung über das Asylbegehren in absentia, gegen die in der Regel bei Dublin-Rückkehrern wegen Fristablaufs ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist. Wenn eine derartige Entscheidung ergangen ist, muss der im Dublin-Verfahren zurückkehrende Asylbewerber im Rahmen eines Folgeverfahrens neue Fakten und Beweismittel zur Begründung seines Antrages vorlegen […]. Welche Behandlung vor diesem Hintergrund der Asylantrag des Antragstellers in Ungarn erfahren würde, ist unklar. Ungarn hat in seinem Antwortschreiben vom 02.06.2015 an das Bundesamt mitgeteilt, dass das Asylverfahren des Antragstellers wegen dessen Verschwinden dort am 14.04.2015 ohne Entscheidung beendet (ceased) wurde. Was diese Formulierung im Kontext der Bestimmungen des ungarischen Asylgesetzes konkret für den Umfang der inhaltlichen Prüfung des Asylbegehrens des Antragstellers bedeutet, ist völlig offen.
Amnesty International: Hungary – Change to Asylum Law puts tens of thousands at risk
Am 1.8.2015 ist Serbien zum „sicheren Drittstaat“ erklärt worden. Hierzu Amnesty International (30.7.2015):
Following the adoption of an Amendment to the Asylum Law by the National Assembly in June, the Hungarian government issued a decree on 21 July specifying the lists of the “safe countries of origin” and “safe third countries”. They include EU Member States, Albania, Macedonia, Montenegro, Serbia, Member States of the European Economic Area, states of the USA that have abolished the death penalty, Switzerland, Bosnia and Herzegovina, Kosovo, Canada, Australia and New Zealand. In July, the National Assembly adopted another Amendment of the Asylum Law, clarifying that the asylum applications of nationals of designated “safe countries of origin” will be decided in an expedited procedure. The applications of asylum-seekers coming through “safe third countries” will be declared inadmissible. This Amendment will enter into force on 1 August. The blanket refusal of asylum applications submitted by people who travelled through these countries can result in refoulement, the unlawful return of persons who would be at risk of serious human rights violations.
Dazu das Serbien sicherlich kein sicherer Drittstaat ist, sind bereits eine Reihe von Berichten erschienen.
Vg Hannover 6. Kammer / Az.: 6 B 3050/15 / Ungarn
Es liegen hier auf Grundlage neuerer Erkenntnisse konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Ungarn nicht an die zu fordernden und bei der Einführung des § 27 a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heranreichenden und systemische Mängel des Asylverfahrens in Ungarn bestehen. Insbesondere werden Asylbewerber, gerade auch sog. Dublin-Rückkehrer, praktisch ausnahmslos inhaftiert, wobei sowohl hinsichtlich des Verfahrens der Haftanordnung als auch hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Haftanordnung Anhaltspunkte für eine grundrechtsverletzende, willkürliche und nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechende Inhaftierungspraxis bestehen (vgl. UNHCR, Stellungnahme zur Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber in Ungarn an das VG Düsseldorf vom 09.05.2014; Hungarian Helsinki Committee, Information Note on Asylum-Seekers in Detention and in Dublin Procedures in Hungary, Mai 2014). Darüber hinaus ist auch die Frage der Behandlung der Asylanträge von sog. Dublin-Rückkehrern als kritisch zu bewerten. Zwar werden nach einer Änderung des ungarischen Asylgesetzes Dublin-Rückkehrern nun grundsätzlich der Zugang zum Asylverfahren und eine vollständige Prüfung der Asylgründe garantiert. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn der Asylbewerber seinen ursprünglichen Asylantrag in Ungarn stillschweigend oder schriftlich zurückgenommen hat. Dann wird nämlich der erneut zu stellende Antrag als unzulässig oder offensichtlich unbegründet angesehen und Rechtsmittel gegen eine derartige Entscheidung haben keine aufschiebende Wirkung. Daneben gibt es die Möglichkeit einer negativen Entscheidung über das Asylbegehren in Abwesenheit, gegen die in der Regel bei Dublin-Rückkehrern wegen Fristablaufs ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist. Wenn eine derartige Entscheidung ergangen ist, muss der im Dublin-Verfahren zurückkehrende Asylbewerber im Rahmen eines Folgeverfahrens neue Fakten und Beweismittel zur Begründung seines Antrag vorlegen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, a.a.O.). Unter Berücksichtigung der bestehenden Zweifel hinsichtlich des Asyl- und Aufnahmeverfahrens in Ungarn ist dem Antragsteller vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren und eine weitergehende Prüfung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
VG Kassel 6. Kammer / Az.: 6 L 1147/15.KS.A / Ungarn
Aufgrund der Berücksichtigung neuester Erkenntnisse über eingetretene Veränderungen der Umstände in Ungarn und der Änderung des Asylrechts in Ungarn zum 06.07.2015 kann derzeit nicht mehr mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass das Asylverfahren in Ungarn frei ist von systemischen Schwachstellen […]. Maßgeblich für die Zweifel am Bestehen systemischer Schwachstellen ist zum einen, dass es ernstzunehmende Berichte über erheblich Kapazitätsprobleme gibt. Diese betreffen zwar soweit ersichtlich derzeit nahezu alle europäischen Staaten, in Teilen auch die Bundesrepublik Deutschland, Ungarn aber ungleich massiver. Das VG Münster hat im Beschluss vom 07.07.2015 (Aktenzeichen: 2 L 858/15.A […]) dazu ausgeführt:
„Ausgangspunkt für diese Bewertung ist das in Ungarn sich in jüngster Zeit massiv zuspitzende Kapazitätsproblem bei der Aufnahme von Asylbewerbern bedingt durch die stetig ansteigende Zahl von Asylbewerbern. Während in Ungarn im Jahre 2012 lediglich 2.157 Asylanträge gestellt wurden, stieg die Anzahl der Asylbewerber im Jahre 2013 auf 18.900 an und verdoppelte sich im Jahre 2014 auf 42.777. Vom 1. Januar 2015 bis zum 1. März 2015 registrierten die ungarischen Behörden bereits eine Anzahl von 28.535 Personen […]. Bis zu 72.000 Flüchtlinge sollen bereits in diesem Jahr nach Angaben der ungarischen Regierung in das Land gelangt sein […]. Ungarn gehört damit in der EU zum drittgrößten Zuwanderungsland für Asylbewerber […]. Hinzu kommt noch, dass Ungarn nach der Dublin-VO verpflichtet ist, alle weitergereisten Personen, die erstmals in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, wiederaufzunehmen. Dieser großen Anzahl von Asylbewerbern steht demgegenüber nur eine geringe Zahl von Aufnahmeplätzen gegenüber. Wie dem jüngsten Bericht des European Support Office (EOS) vom 18. Mai 2015 zu entnehmen ist, der eine ausführliche aktuelle Berichterstattung über das ungarische Asylsystem enthält […], gibt es in ganz Ungarn weniger als 2.500 Aufnahmeplätze in staatlichen Unterbringungseinrichtungen. Die Plätze verteilen sich auf vier offene Aufnahmeeinrichtungen (Bicske 439, Debrecen 823, Vamaosszabadi 255, Nagyfa 300 sowie in Balassagyarmat 111) und drei geschlossene Lager (Debrecen 192, Bekescsaba 159, Nyirbator 105). Bereits diese Zahlen verdeutlichen das bestehende massive Unterbringungsproblem in Ungarn. Es kann angesichts dieser Größenordnung bei einer Zuwanderung von mehr als 60.000 Flüchtlingen innerhalb eines halben Jahres ersichtlich nicht davon ausgegangen werden, dass die erheblich zu geringe Zahl an staatlichen Unterbringungsplätzen für Asylbewerber auch nur ansatzweise durch von Kirchen und sonstigen nichtstaatlichen caritativen Einrichtungen aufgefangen werden könnte. Hinzu kommt, dass sich der ungarische Staat selbst weder willens noch in der Lage sieht, die Unterbringung und Versorgung der stetig ansteigenden Zahl von Asylbewerbern zu gewährleisten. Dass bereits seit einigen Monaten von den ungarischen Behörden die Situation der Flüchtlingsunterbringung als dramatisch eingestuft wird, zeigt der Umstand des bereits Ende Mai 2015 erklärten Aufnahmestopps von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Transfers wegen ausgeschöpfter Aufnahmekapazitäten bis zum 5. August 2015 […] Als erschwerend ist die ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Dublin-Übereinkommen anzusehen, die das gesamte Dublin-Konzept als ein Systemfehler bezeichnet. Seitens der ungarischen Regierung wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass man eine nennenswerte Zuwanderung sog. Wirtschaftsflüchtlinge nicht wünsche und Ungarn keine multikulturelle Gesellschaft werden wolle […]. Die mangelnde Bereitschaft der ungarischen Regierung zur Aufnahme von Dublin-Rückkehrern gipfelte schließlich in der am 23. Juni 2015 erfolgten Ankündigung des Regierungschef Orban, das EU Abkommen zur Aufnahme von Flüchtlingen auszusetzen. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Kapazitäten ausgeschöpft seien („Das Boot ist voll“) und die ungarischen Interessen sowie die ungarische Bevölkerung geschützt werden müssten […]. Wenn auch diese Ankündigung bereits einen Tag später zurückgenommen wurde, so macht sie doch auf der einen Seite die dramatische Unterbringungssituation für die Flüchtlinge in Ungarn deutlich wie auch auf der anderen Seite die fehlende Bereitschaft staatlicher Stellen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen und deren menschenwürdige Unterbringung zu garantieren. Vielmehr ist zu konstatieren, dass die ungarische Regierung die Politik der Ausgrenzung weiter forciert. Ungeachtet internationaler Kritik hat Ungarn die Regeln für die Einwanderung verschärft. Am Montag, den 6 Juli 2015 verabschiedete das ungarische Parlament eine Verschärfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Zeitrahmen für Asylverfahren wird gekürzt werden. Mit der neuen Rechtslage wird ermöglicht, Asylanträge von Flüchtlingen abzulehnen, die über sichere Transitländer nach Ungarn gereist sind – selbst wenn sie aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak stammen. Vorgesehen ist überdies, dass Asylbewerber zukünftig selbst für Kost und Unterbringung während der Antragsbearbeitung zahlen sollen […].“
Dieser Einschätzung schließt sich das Gericht an. Dieses bedeutet ein so erhebliches Unterbringungsproblem, dass derzeit erhebliche Zweifel daran bestehen, ob Ungarn eine den Anforderungen des EU-Rechts genügende (Mindest-)Versorgung der Asyl- bzw. Flüchtlingsschutzsuchenden gewährleisten kann. Darüber hinaus ergeben sich weitere erhebliche Zweifel des Gerichts am Bestehen systemischer Mängel im ungarischen Asylsystem daraus, dass Ungarn seit dem 06.07.2015 eine Änderung des Asylrechts beschlossen hat. Diese soll nicht nur eine Verfahrensverkürzung unter Wegfall bzw. massiver Einschränkung der gebotenen Rechtsschutzmöglichkeiten, eine Ausweitung der Inhaftierung von Asyl- bzw. Flüchlingsschutzmöglichkeiten, eine Ausweitung der Inhaftierung von Asyl- bzw. Flüchtlingsschutzsuchenden, einschließlich Familien, Kindern und besonders Schutzbedürftigen, sondern vor allem auch die Möglichkeit der Abschiebung von Asyl- bzw. Flüchtlingsschutzsuchenden in sichere Drittstaaten, die die Regierung bestimmen kann und wozu wahrscheinlich auch Serbien gehören wird, zum Gegenstand haben. Dies würde bedeuten – und betrifft vorliegend auch den Antragsteller, der über Serbien nach Ungarn gelangte -, dass Asyl- bzw. Flüchtlingsschutzsuchende von dem Risiko der Abschiebung in einen Staat bedroht sind, der wiederum ihre Rückführung in ihr Herkunftsland betreiben könnte, ohne dass eine den europäischen Mindestanforderungen genügende Prüfung seiner Schutzbedürftigkeit erfolgt. Diese würde eine Verletzung des Non-Refoulment-Gebots der Genfer Flüchtlingskonventionen und der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeuten. Für das Gericht ergeben sich ernstzunehmende Anhaltspunkte für ein solches Risiko aus der Information des UNHCR vom 02.07.2015 […]. Darin äußert sich der UNHCR zutiefst besorgt u.a. darüber, dass die vorgeschlagene Änderung des Asylrechts die Rücksendung von Asylbewerbern in potentiell unsichere Drittstaate ermögliche. Ungarn hat das Gesetz am 06.07.2015 verabschiedet […]. Nach Mitteilung von amnesty international […] soll wahrscheinlich auch Serbien zu den als von Ungarn bestimmten sicheren Drittstaaten gehören. Angesichts dieser Erkenntnisse über die jüngsten Entwicklungen sieht sich die Einzelrichterin veranlasst – unter Änderung ihrer bisherigen Rechtsprechung – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig die aufschiebende Wirkung anzuordnen.