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VG Trier / AZ.: 7 L 6014 / 18.TR / Bulgarien

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Gemäß § 80 Abs. 7 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse, mit denen über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO entschieden wurde, jederzeit, d. h. ohne Bindung an Fristen, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände ändern oder aufheben. Prüfungsmaßstab ist dabei, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist […]. Dies ist hier zu bejahen, denn zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 des Asylgesetzes – AsylG -) überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an seiner alsbaldigen Überstellung nach Bulgarien. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist als offen
zu betrachten […].

Der Generalanwalt Wathelet hat in seinen Schlussanträgen vom 25. Juli 2018 dem Europäischen Gerichtshof vorgeschlagen, die Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg wie folgt zu beantworten (Az.: C- 163/17, Celex-Nr. 62017CC0163):Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens 7 K 6013/18.TR sind derzeit als offen anzusehen. Denn die Frage, ob die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG rechtmäßig ist, hängt u.a. von der Beantwortung der Vorlagefrage des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Europäischen Gerichtshof ab. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat dem Europäischen Gerichtshof unter anderem die Frage gestellt, ob die Überstellung eines Asylbewerbers in den nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 – Dublin III-VO – zuständigen Mitgliedstaat unzulässig ist, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, eine Behandlung zu erfahren, die im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Charta – verboten ist. Im Kern geht es hier um die Frage der vorgreiflichen Mitberücksichtigung der Lage bereits anerkannter Schutzberechtigter schon auf Ebene der Entscheidung über eine Dublin-Rückführung.

„Die Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, in den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 29 der Verordnung Nr. 604/2013 ist unzulässig, wenn diese Person bei Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus in diesem Staat im Hinblick auf die dort dann zu erwartenden Lebensverhältnisse der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte zu erfahren. Die Überstellung einer Person, die internationalen Schutz beantragt hat, kann folglich im Rahmen der Verordnung Nr. 604/2013 nur erfolgen, wenn nach den Umständen ausgeschlossen ist, dass die Überstellung diese Person der realen und erwiesenen Gefahr aussetzt, nach der Gewährung des internationalen Schutzes eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte zu erfahren.“

Folgt man dieser Argumentation, ist die generelle Lage anerkannter Schutzberechtigter im Zielstaat bereits bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Überstellung im Dublin-Verfahren zu berücksichtigen, Übertragen auf den vorliegenden Fall hätte dies bezogen auf Bulgarien möglicherweise die Unzulässigkeit der von der Antragsgegnerin in Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides angeordneten Abschiebung des Antragstellers dorthin zur Folge. Denn das Gericht ging jedenfalls zuletzt in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa den Beschluss der 6. Kammer des erkennenden Gerichts vom 20. Februar 2019 – 6 L 315/19.TR -, nicht veröffentlicht) und in Übereinstimmung mit dem Niedersächsischen OVG, dem OVG des Saarlandes und dem OVG für das Land Schleswig-Holstein davon aus, dass anerkannten Schutzberechtigten im Fall ihrer Abschiebung nach Bulgarien mit der insoweit erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – und i.S.v. Art. 4 der Charta droht. Die relevanten Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien erweisen sich im Hinblick auf die Wohnsituation, den Zugang zum Arbeitsmarkt, die Sicherung des Lebensunterhalts und die medizinische Versorgung jedenfalls derzeit möglicherweise als nicht vereinbar mit Art. 3 EMRK und demzufolge auch nicht mit Art. 4 der Charta […].

II. Zwar kommt den Schlussanträgen eines Generalanwalts noch keine unmittelbare Rechtswirkung zu, sondern erst dem daraufhin ergehenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs […]. Allerdings lassen sich – wie hier – Aussagen zu den Erfolgsaussichten nicht treffen, sodass eine reine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Zentraler Maßstab ist dabei, dass der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen umso stärker ist und umso weniger zurückstehen darf, je gewichtiger die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen Unabänderliches bewirken (Hoppe, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 93).

Hiervon ausgehend überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung seiner Überstellung nach Bulgarien gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse. Denn – wie bereits dargelegt – droht ihm im Fall seiner Überstellung nach Bulgarien und seiner dortigen Anerkennung als Berechtigter internationalen Schutzes möglicherweise eine unmenschliche Behandlung Art.3 EMRK und Art. 4 der Charta, was eine erhebliche Verletzung seiner elementaren Grundrechte zur Folge hätte. Diese unmenschliche Behandlung könnte im Nachhinein nicht rückgängig gemacht werden, da eine einmal erlittene unmenschliche Behandlung nicht wiedergutzumachen ist. Der Antragsteller könnte zwar im Fall des Obsiegens in der Hauptsache seine Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland verlangen; dies würde jedoch allenfalls eine weitere unmenschliche Behandlung für die Zukunft vermeiden, nicht aber das bereits Geschehene rückgängig machen.

VG Hamburg / Az.: 7 A 4764/16 / Ungarn

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I. Der Zulässigkeit der Klage steht zunächst nicht entgehen, dass der Kläger nach Erhebung der Klage auf Veranlassung der Beklagten nach Ungarn überstellt worden ist. Das für seine Klage notwendige Rechtsschutzbedürfnis ist hierdurch nicht entfallen, auch nicht, soweit sich die Klage gegen die im Bescheid der Beklagten verfügte Abschiebungsanordnung richtet, die zwischenzeitlich vollzogen worden ist, da eine Erledigung der den Kläger belastenden Wirkungen hierdurch noch nicht eingetreten ist (vgl. VG Trier, Urt. v. 27.5.2015, 5 K 1176/14.TR, juris).

II. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nach der gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Ergehens der gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (8 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die im angegriffenen Bescheid unter Nr. 1 getroffene Entscheidung der Beklagten, den Asylantrag des Klägers als unzulässig abzulehnen, ist rechtswidrig. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr.604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 – Dublin-IHI-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Ungarn ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers jedoch nicht zuständig. Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob Ungarn hierfür zunächst der nach Maßgabe von Art. 7 ff. Dublin-III-VO zur Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG war. Denn vorliegend besteht jedenfalls eine Verpflichtung der Beklagten, von einer Überstellung des Klägers nach Ungarn gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2, 3 Dublin-Ill-VO abzusehen […]

Der Berichterstatter schließt sich zu der Frage, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn derzeit als systemisch mangelbehaftet zu bewerten sind, auch im vorliegenden Klageverfahren der Einschätzung der Kammer an, die im Beschluss vom 13.6.2017 (7 AE 2179/17, n.v.) systemische Mängel mit den folgenden Erwägungen angenommen hat:

„Nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens ist festzustellen, dass in Bezug auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bzw. die – hier allein zu betrachtende – Personengruppe der sog. Dublin-Rückkehrer in Ungarn inzwischen eine Gefahrenlage im vorgenannten Sinne besteht. Soweit die Kammer mit Beschluss vom 19.1.2016 […] noch systemische Mängel in Bezug auf das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn verneint hatte, hält sie an dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die inzwischen – durch Gesetz vom 7.3.2017, in Kraft getreten am 28.3.2017 – vorgenommenen Änderungen des ungarischen Asylrechts nicht mehr fest (Annahme systemischer Mängel im Hinblick auf die neue Rechtslage auch bei VG Düsseldorf […]). Die Kammer folgt vielmehr der Einschätzung des UNHCR, wonach die mit Gesetz vom 28.3.2017 geänderte Asylrechtsrechtslage in Ungarn es geboten erscheinen lässt, Rücküberstellungen von Asylbewerbern nach Ungarn unter der Dublin-II-VO zeitweise auszusetzen (vgl. UNHCR, Dublin-Überstellungen nach Ungarn aussetzen, Stellungnahme vom 10.4.2017). Diese Änderung der Rechtslage ist nicht lediglich mit einer deutlichen Verschlechterung der Lebenssituation von Asylbewerbern in Ungarn verbunden, sondern ist auch so wenig sachlich zu rechtfertigen, dass sie als Ausdruck einer überschießend auf Abwehr von Asylbegehren zielenden Einstellung erscheint, welche wiederum weitergehend negativ die Verwaltungspraxis prägen dürfte. Im Zentrum des Gesetzes vom 7.3.2017 steht die Pflicht grundsätzlich jedes Asylbewerbers, sich für die Dauer seines in Ungarn durchgeführten Asylverfahrens in einer geschlossenen Aufnahmeeinrichtung („Transitzone“) in der Nähe der ungarischen Südgrenze aufzuhalten […]. Bei diesen Aufnahmeeinrichtungen handelt es sich bislang – und wohl regelhaft – um geschlossene, durch stacheldrahtbewehrte Zäune umgebene Containerkomplexe mit gedrängten räumlichen Verhältnissen bei Fehlen nennenswerter Freiflächen. Die genannte Aufenthaltspflicht für die Dauer des Asylverfahrens besteht insbesondere auch für Familien mit Kindern und unbegleitete Minderjährige ab einem Alter von 14 Jahren. Die Stellung eines Asylantrages ist nunmehr ausschließlich in diesen Einrichtungen möglich. Abgesehen von dem Fall eines erfolgreichen Abschlusses des Asylverfahrens dürfen die vorgenannten Einrichtungen von Asylbewerbern ausschließlich durch Überqueren der ungarischen Südgrenze, mithin durch Ausreise, verlassen werden; dies gilt zugleich als Rücknahme des Asylantrages. Die Aufenthaltspflicht in den knapp bemessenen, unzulänglich ausgestatteten ungarischen Transitzonen stellt damit eine jedenfalls haftähnliche Abschreckungsmaßnahme dar, mit der das ungarische Asylrecht in ungerechtfertigter Weise und erheblichem Umfang von allgemeinen Gewährleistungen des Völkerrechts und des sekundären Unionsrechts abweicht. Gemäß Art. 26 der Genfer Flüchtlingskonvention […] gewährt jeder vertragschließende Staat grundsätzlich den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in seinem Gebiet befinden, das Recht, dort ihren Aufenthalt zu wählen und sich frei zu bewegen. Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen […] nehmen die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie ein Antragsteller im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes […] ist. Das novellierte ungarische Asylrecht knüpft demgegenüber bei der Begründung der Aufenthaltspflicht in einer Transitzone unmittelbar und ausschließlich an der Eigenschaft einer Person als Asylantragsteller an. Diese Aufenthaltspflicht ist aufgrund der damit verbundenen erheblichen Einschränkungen der Fortbewegungsfreiheit jedenfalls als eine bei materieller Betrachtung der Haft gleichkommende Behandlung zu qualifizieren (Bewertung als „de facto-Inhaftierung“ auch bei Hungarian Helsinki Committee, a.a.0.; Amnesty International, a.a.0.), so dass es nicht darauf ankommt, ob die Ausgestaltung auch als Haft im eigentlichen Sinne von Art. 8 der AufnahmeRL anzusehen ist. Die Neugestaltung der Aufenthaltsbedingungen für Asylbewerber ist auch nicht etwa deshalb für die Bewertung des ungarischen Asylsystems unerheblich, weil es sich um eine vorläufige Maßnahme zur Behebung einer akuten Notlage handeln würde. Zwar wird die Maßnahme durch die ungarische Regierung mit einer angeblichen Krisensituation aufgrund von Massenimmigration gerechtfertigt (vgl. Amnesty International, a.a.O.). Tatsächlich hatte Ungarn durch die weitgehende Schließung der Grenzen die Zahl der im Land aufhältlichen Asylbewerber im März 2017 bereits auf etwa 600 reduziert […]. Dementsprechend stellt sich die Maßnahme vorrangig als auf Abschreckung potentieller Asylbewerber gerichtet dar. Der Bewertung der Aufenthaltspflicht als jedenfalls haftähnlich steht im Übrigen – unabhängig von den konkreten räumlichen Gegebenheiten in den Einrichtungen – nicht entgegen, dass ein Antragsteller die Einrichtung auch vor dem regulären Abschluss des Asylverfahrens jederzeit verlassen könnte. Da dies nur unter Überquerung der ungarischen Südgrenze möglich und zwingend mit der Rücknahme des Asylantrages verbunden ist, ist die Aufenthaltspflicht für einen Antragsteller, der sein Asylverfahren in Ungarn zu einem regulären Abschluss bringen möchte, unausweichlich. Ein Asylantragsteller hat auch keinen gerichtlichen Rechtsschutz gegenüber der Aufenthaltspflicht zur Verfügung, da die Aufenthaltspflicht formell nicht als Haft ausgewiesen ist. Aus dem gleichen Grund sieht das ungarische Recht keine absolute zeitliche Obergrenze vor. Die Unterbringung in einer Transitzone ist zeitlich allein durch die Dauer des Asylverfahrens begrenzt, sofern ein Antragsteller sich nicht zum vorzeitigen Verlassen der Einrichtung unter Rücknahme seines Antrages entscheidet. Dies gilt, wie bereits ausgeführt, auch für Familien mit Kindern und unbegleitete minderjährige Asylbewerber ab einem Alter von 14 Jahren. Insgesamt unterläuft das novellierte ungarische Asylrecht mit der allgemeinen Pflicht zum Aufenthalt in einer Transitzone für die Dauer des Asylverfahrens, die nicht als Haft, sondern als Aufenthaltspflicht ddeklariert wird, bei materieller Betrachtung insbesondere den numerus clausus der – sämtlich auf eine Einzeifallprüfung angelegten -Haftgründe nach Art. 8 Abs. 3, das Erforderlichkeitsprinzip nach Art. 8 Abs. 2 und die Garantien für in Haft befindliche Antragsteller nach Art. 9 der Aufnahme-RL.“

VG Hannover / AZ.: 10 B 921/18 / Malta

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Diesen Maßstäben folgend bestehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt insbesondere im Hinblick auf die Praxis der drohenden lnhaftierung des Antragstellers und der Haftbedingungen in Malta systemische Mängel.

Die Kammer hat im Hinblick auf den asylrechtlichen Umgang mit Dublin-Rückkehrern in seinem Urteil vom 05.11.2015 — 10 A 5157/15 —‚ juris, ausgeführt:

„Nach diesem Maßstab liegen im Asylsystem Maltas systemische Mängel vor, weil es an rechtlichen Regelungen fehlt, die die Einhaltung der europarechtlichen
Mindestanforderungen an die Bearbeitung von Asylanträgen sicherstellen. Nach dem periodischen Bericht der Europäischen Asylinformationsdatenbank AIDA vom Februar 2015 […]
gibt es in Malta keine gesetzlichen Regelungen, die den Rechtsrahmen der Dublin-Verordnungen umsetzen, sondern nur behördliche Verfahrensvorschriften (AIDA report – a. a. O. – S. 21).

Dabei stellt sich insbesondere die Situation der Dublin-Rückkehrer als problematisch dar. Wenn ein Antragsteller Malta durch Flucht aus behördlichem Gewahrsam oder irreguläre Ausreise verlässt, wird sein Asylantrag nach Art. 13 der örtlichen Verfahrensvorschriften. die insofern Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – aufgreifen, als stillschweigend zurückgenommen
betrachtet. Bei einer Rücküberstellung nach Malta als dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat ist das Verfahren daher in fast allen Fällen bereits eingestellt und der Antragsteller ausreisepflichtig. Er hat zwar die Möglichkeit, eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, diese erfolgt jedoch im Wege eines Zweitantrags unter der Voraussetzung, dass er Wiederaufnahmegründe darlegt. Während des Verfahrens können Antragsteller in ihre Heimatstaaten abgeschoben werden (vgl. AIDA report- a. a. O. – S. 22). Diese Praxis stand zum Berichtszeitpunkt in Widerspruch zu Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EU (Asylverfahrensrichtlinie 2005 -; nunmehr Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie 2013 -) und zu Art. 18 Abs. 2 UA 2 der Dublin Ill-VO. Danach haben die Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung wegen stillschweigender Rücknahme wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht als Folgeantrag geprüft
wird. Durch den Verstoß gegen diese Vorschriften laufen Antragsteller Gefahr, selbst tatsächlich vorliegende Gründe für einen Anspruch auf internationalen Schutz nicht wirksam vortragen zu können.

Während der Bearbeitungsdauer über das  Wiederaufnahmeersuchen, die vollständig im Ermessen der Behörde steht. sind die Antragsteller der Gefahr einer
vorzeitigen Abschiebung ausgesetzt und befinden sich häufig in Haft oder Arrest, die den Zugang zu rechtlicher Hilfe zusätzlich erschwert. Die Möglichkeit, Antragsteller noch vor oder während der Prüfung des Folgeantrags abzuschieben, verstößt zudem gegen das Gebot des Non-Refoulement, das ebenfalls in Art. 20 Abs. 2 UA 3 der Asylverfahrensrichtlinie 2005 bzw. Art. 28 Abs. 2 UA 3 der Asylverfahrensrichtlinie 2013 und Art. 18 Abs. 2 UA 3 Dublin III-VO seinen Niederschlag gefunden hat.“

Dem aktuellen AIDA-Bericht vom November 2015 sind für Dublin-Rückkehrer in dieser Hinsicht keine Verbesserungen zu entnehmen […]. Sollte der Antragsteller Malta auf irregulärem Weg verlassen haben – wovon mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann – würde er im Falle seiner Rückkehr voraussichtlich in die Haftanstalt Corradino Correctlonal Facility verbracht (AIDA-Bericht 11/2015). Auch nach der aktuellen Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 11.12.2017 laufen Asylbewerber, welche Malta ohne Erlaubnis verlassen haben, noch immer Gefahr, nach ihrer Rücküberstellung angezeigt und vor ein Strafgericht gebracht zu werden. Das Gericht könne den Asylbewerber zu einer Geldstrafe oder zu einer Haftstrafe von maximal zwei Jahren verurteilten. Auch schon während der Dauer des Strafverfahrens könne ein festgenommener Asylbewerber inhaftiert werden. (AA, a.a.0., zu Frage 1.7). Zwar begründet die lnhaftierung einer Person als
solche keine Verletzung von Art. 3 EMRK. Die Mitgliedstaaten sind aber verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die Bedingungen der Haft mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind, die Gefangenen nicht Leiden oder Härten unterworfen sind, die die mit einer Haft unvermeidbar verbundenen Beeinträchtigungen übersteigen, und dass Gesundheit und Wohlbefinden der Gefangenen unter Berücksichtigung der praktischen Bedürfnisse der Haft angemessen sichergestellt sind (vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 -, juris; EGMR, Urteil vom 03.05.2016 – 56796/13 -, HUDOC m.w.N.). Wie aktuellen Erkenntnismitteln zu entnehmen ist, widersprechen die Haftbedingungen in der Corradino Correctional Facility in mancherlei Hinsicht den Mindestanforderungen, die das Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) an Haftanstalten stellt (vgl. Council of Europe, Report to the Maltese Government on the visit to Malta carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and lnhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 3 to 10 September 2015, 25.10.2016). Trotz wahrnehmbarer Verbesserungen im Laufe der näheren Vergangenheit werden die Größe der Zellen, die hygienischen Bedingungen, der eingeschränkte Zugang zu genießbarem Trinkwasser sowie der mangelnde Schutz vor extremen Temperaturen bemängelt (ebd.). Solche Umstände können eine Verletzung von Art. 3 EMRK zur Folge haben (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 03.05.2016 – 56796/13 -, HUDOC m.w.N.; VG Karlsruhe, Beschluss vom 08.10.2014 – A 8 K 345/14 -; VG Oldenburg, Beschluss vom 23.07.2014 – 12 B 1217/14 -, juris m.w.N.).

Auch wenn dem Antragsteller keine illegale Ausreise vorgeworfen werden sollte, ist auf Grund seines Status als Asylbewerber mit einer lnhaftierung zu rechnen (UNHCR, Malta – Progress under the Global Strategy – Beyond Detention 2014-2016, August 2016; UNHCR, Observations on Malta’s Revised Legislative and Policy Framework for the Reception of Asylum-Seekers, 25.02.2016; Amnesty International – Malta 2017, v. 19.05.2017, abrufbar unter […]). Zwar sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr alle Asylbewerber zwingend in Haft zu nehmen (ebd.). Die nunmehr geplanten Erstaufnahmezentren für Asylbewerber seien nach Ansicht des UNHCR jedoch ebenfalls als Haftanstalten zu bewerten, wodurch ihre Rechtmäßigkeit nach maltesischem Recht fraglich sei (ebd.). Der UNHCR äußert zudem Bedenken in Bezug auf die interpretation der rechtlichen Grundlage, auf die eine lnhaftierung gestützt werden kann (ebd.). Auch müsse ein Verfahren eingerichtet werden, welches gewährleiste, dass die lnhaftierung im Einzelfall verhältnismäßig sei (ebd.). Einige der neu eingeführten Normen seien nicht mit international anerkannten Menschenrechten und dem internationalen Flüchtlingsrecht zu vereinbaren und könnten zu einer willkürlichen und illegalen lnhaftierung führen (ebd.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
stellte wiederholt eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Malta mit Blick auf die lnhaftierung von Asylbewerbern fest (vgl. Urteile vom 23.07.2013 – 42337/12 – Suso Musa/Malta -, vom 23.7.2013 – 55352/12 – Aden Ahmed/Malta -, vom 26.11.2015 – 10290/13 – Mahamed Jama/Malta -‚ und vom 03.05.2016 – 56796/13 – Abdi Mahamadu/Malta -, HUDOC). Der Gerichtshof erkannte jeweils eine Verletzung des Art. 5 Abs. 1 und 4 EMRK, weil die lnhaftierung der Kläger nicht mehr mit Blick auf ihren Zweck – auf Grund illegaler Einreise bzw. zur Vorbereitung der Abschiebung – habe gerechtfertigt werden können und durch die maltesische Rechtsordnung den Betroffenen kein effektiver und schneller Rechtsschutz zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung gewährleistet werden sei (ebd.). Es bleibt abzuwarten, wie sich die Praxis nach Änderung der Rechtslage insoweit entwickelt (ebenso: UNHCR, Observatlons on Malta’s Revised Legislative and Policy Framework for the Reception of Asylum-Seekers, 25. Februar 2016).

Im Übrigen sind nicht nur die Haftbedingungen, sondern auch die Bedingungen in einigen offenen und geschlossenen Zentren nach wie vor mangelhaft. ACCORD berichtet im Mai 2017 (Anfragenbeantwortung zu Malta: Informationen zur Lage von Asylbewerbern; Versorgung, Unterbringung, lnhaftierung, Zugang zu Asylverfahren; […]):

Mit Vemeis auf das US-Außenministerium vom März 2017 (Berichtszeitraum 2016), hätten in den Sommermonaten in einigen offenen und geschlossenen Zentren hohe Temperaturen geherrscht und eine unangemessene Belüftung in vorgefertigten Wohneinheiten würde zu unkomfortablen Lebensbedingungen beitragen. Ähnlich wird AIDA vom März 2017 wiedergegeben, wonach die große Anzahl der Personen, die in jedem Zentrum untergebracht seien (beispielsweise etwa 400 in Marsa Open Centre) unvermeidlich zu schweren Problemen hinsichtlich Hygiene und Instandhaltung führen würden. Insgesamt seien die Lebensbedingungen in den offenen Zentren mit wenigen Ausnahmen sehr schwierig. Die hauptsächlichen Bedenken würden sich auf einen niedrigen Hygienegrad, starke Überbelegung, Mangel körperlicher Sicherheit, die Standorte der meisten Zentren in abgelegten Gebieten Maltas, materiell schlechte Bauten und den gelegentlichen Rattenbefall beziehen.

Es bestehen somit aktuell noch keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass bei Gesamtschau der von der maltesischen Regierung in den letzten Jahren ergriffenen Maßnahmen davon auszugehen ist, dass derzeit schon mit einer europarechtskonformen Situation der Flüchtlingsaufnahme in Malta zu rechnen ist (VG Arnsberg, Beschluss vom 29.08.2017 – 5 L 2272/17.A -, juris Rn. 39; VG Magdeburg, Beschluss vom 28.07.2017 – 8 B 323/17 -‚ juris; VG Hannover, Urteil vom 05.02.2018 — 11 A 12328/17 -).

VG Düsseldorf / Az.: 12 K 19256/17.A / Ungarn

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Den Klägern droht im Falle einer Rückführung nach Ungarn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Nach dieser Vorschrift darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe untemorfen werden. Hieraus folgen neben Unterlassungs- auch staatliche Schutzpflichten. Eine Verletzung von Schutzpflichten kommt in Betracht, wenn sich die staatlich verantworteten ebensverhältnisse von international Schutzberechtigten allgemein als unmenschlich oder erniedrigend darstellen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 — 13 A 1490/13A -‚ juris, Rdn. 86, und Beschluss vom 29. Januar 2015 – 14 A 134/15.A -‚ juris, Rdn. 11.

Die hinsichtlich der allgemeinen Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigen bestehenden Gewährleistungspflichten hat der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte im Einzelnen konkretisiert. Demnach kann die Verantwortlichkeit eines Staates aus Art. 3 EMRK begründet sein, wenn der Betroffene vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist.

Vgl. EGMR, Urteil vom 4. November 2014 – 29217/12 (Tarakhel / Schweiz), NVWZ 2015, 127, 129, Rdn. 98 m.w.N.

Dagegen verpflichtet Art. 3 EMRK die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Art. 3 EMRK begründet auch keine allgemeine Verppflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.

Vgl. EGMR, Urteile vom 30. Juni 2015 – 39350/13 – (AS. / Schweiz), juris, Rdn. 27, vom 21. Januar2011 – 30696/09 (M.S.S. / Belgien u. Griechenland) -, EUGRZ 2011, 243, Rdn. 249, m. w. N., und Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien) -, ZAR 2013, 336 f., Rdn. 70; vgl. auch OVG NRW, Urteile vom 19. Mai 2016 – 13 A 1490/13A -‚ juris, Rdn. 91, und vom 7. März 2014-1 A 21/12.A -, juris, Rdn. 119.

Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 – 13 A 1490/13A -, juris, Rdn. 89 ff. m.w.N.

Art. 3 EMRK gewährt von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen.

Vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 – (Mohammed Hussein u.a. / Niederlande u. Italien), ZAR 2013, 336 f., Rdn. 71; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 19. Mai 2016 – 13 A 1490/13A -, juris, Rdn. 93 m.w.N.

Gegen Art. 3 EMRK verstoßende Bedingungen in einem anderen Konventionsstaat können allerdings dann anzunehmen sein, wenn ein Flüchtling völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017 -2 BvR 157/17 -, juris, Rdn. 15.

Das Gericht hat bei seiner diesbezüglichen Sachverhaltsaufklärung dem hohen Wert der in Art. 3 EMRK verbürgten Rechte Rechnung zu tragen und sich über die Aufnahmebedingungen umfassend zu informieren.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017 -2 BvR 157/17 – , juris, Rdn. 16.

Dabei hat es – insbesondere dann, wenn staatliche Integrationsmaßnahmen nicht existieren – Feststellungen dazu zu treffen, ob und wie für zurückgeführte anerkannte
Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft die Erfüllung der von Art. 3 EMRK geschützten Grundbedürfnisse sichergestellt ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017-2 BvR 157/17 —, juris, Rdn. 21.

In Anwendung dieser Maßstäbe steht nach dem in das Verfahren eingeführten Erkenntnismaterial zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Hierfür sind folgende Emägungen maßgeblich:

Die Lage für international Schutzberechtige in Ungarn hat sich durch Gesetzesänderungen zum 1. April 2016 und zum 1. Juni 2016 erheblich verschlechtert. Angesichts der vollständigen Einstellung der staatlichen Integrationsprogramme und des Fehlens jeglicher – auch nur übergangsweisen – Absicherung für die erste Zeit nach der Ankunft besteht für zurückgeführte anerkannte Schutzberechtigte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Verelendung und Obdachlosigkeit.

Vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 15. November 2016 – 8 LB 92/15 -, juris, Rdn. 62; VG Berlin, Beschluss vom 17. Juli 2017 – 23 L 507/17 -, juris, Rdn. 11; Hungarian Helsinki Committee: Information Note: Two Years after: What’s Left of Refugee Protection in Hungary?, S. 9 f […].

Der zulässige Verbleib von Flüchtlingen in offenen Asyleinrichtungen nach ihrer Anerkennung wurde von 60 auf 30 Tage reduziert.

Vgl. Bordermonitoringeu e.V. / Förderverein PRO ASYL e.V. (Hrsg.), Gänzlich unerwünscht – Entrechtung, Kriminalisierung und lnhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, Juli 2016, S. 23 […]; UNHCR, Hungary as a country of asylum, Mai 2016, S. 7 […]; aida, Country Report: Hungary, Update 2016, S. 12 […]

Die Möglichkeit, nach der Anerkennung noch für eine gewisse Zeit in der Unterkunft für Asylbewerber bleiben zu können, greift für nach Ungarn zurückgeführte Schutzberechtigte jedoch nicht. Ihre Anerkennung liegt bereits länger zurück; sie verfügen dementsprechend nicht mehr über einen Unterkunftsplatz aus der Zeit des Asylverfahrens. Ihnen droht die Obdachlosigkeit daher bereits unmittelbar ab dem Zeitpunkt ihrer Rückkehr nach Ungarn.

Vgl. Bordermonitoringeu e.V. /Förderverein PRO ASYL e.V. (Hrsg.), aaO, S. 28.

Bei der Wohnungssuche sind anerkannte Schutzberechtigte faktisch auf sich alleine gestellt. Diese Situation wird durch den Umstand verschärft, dass die Mieten in Ungarn vergleichsweise hoch sind und Vermieter in weiten Teilen des Landes sich weigern, ihnen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Vgl. VG München, Urteil vom 17. Februar 2017 – M 17 K 16.34416 -, juris, Rdn. 23; aida, aaO, S. 93.

Die zeitlich begrenzte finanzielle Unterstützung im Rahmen von sogenannten „Integrationsverträgen“ und das monatliche Taschengeld in Höhe von 24 Euro wurden abgeschafft.

Vgl. Bordermonitoringeu e.V. / Förderverein PRO ASYL e.V. (Hrsg.), aaO, S. 23; UNHCR, aaO, S. 7f.; aida, aaO, S. 12.

Unterstützung bei der Integration können international Schutzberechtigte nur noch durch die Zivilgesellschaft und durch Hilfsorganisationen erlangen.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee, aaO, S. 10.

Nichtregierungsorganisationen verfügen allerdings nicht über Kapazitäten und Mittel, um international Schutzberechtigten in Ungarn in ausreichendem Maß beistehen zu können. Soweit ersichtlich, sind sie vomiegend damit befasst, Asylantragsteller im ungarischen Asylsystem zu unterstützen. Für international Schutzberechtigte sind – wenn überhaupt – nur vereinzelte Angebote verfügbar.

Vgl. VG Berlin, Beschluss vom 17. Juli 2017 — 23 L 507/17 —, juris, Rdn. 15 m.w.N.

Die Situation unterscheidet sich damit erheblich von derjenigen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in denen international Schutzberechtigte (auch) auf die Integrationsarbeit der Nichtregierungsorganisationen verwiesen werden können.

Vgl. zur Situation in Bulgarien VG Düsseldorf, Urteil vom 14. November 2016 – 12 K 5984/16A -, juris, Rdn. 51 ff.

Hinzu kommt, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung zwar gesetzlich gewährleistet, in der Praxis aber deutlich erschwert ist. Voraussetzung ist eine Adresskarte, welche wiederum eine gültige Meldeadresse erfordert. Angesichts der vorstehend geschilderten prekären Wohnraumsituation ist der Zugang zur medizinischen Versorgung daher faktisch mit vielen, nur schwer überwindbaren Hürden verbunden.

Vgl. VG München, Urteil vom 17. Februar 2017 — M 17 K 16.34416 —, juris, Rdn. 24; Bordermonitoringeu e.V. / Förderverein PRO ASYL e.V. (Hrsg.), aaO, S. 28.

Im Fall der Kläger kommt außerdem hinzu, dass es sich um eine junge Frau mit zwei Kleinkindern im Alter von unter drei Jahren handelt. Es ist für sie als Familie unter den aktuellen Umständen unzumutbar, nach Ungarn zurückzukehren.

Haben die Kläger mithin einen Anspruch auf die Feststellung, dass in ihrer Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Ungarns vorliegt, erweisen sich die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 und die Befristung des gesetzlichen Einreiseund Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 4 des Bescheides vom 27. November 2017 ebenfalls als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.

VGH München / Az.: 9 B 17.50039 / Ungarn

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Analog: VGH München, Beschluss v. 23.01.2018 – 20 B 16.50073

19. Der 13a. Senat des Verwaltungsgerichtshofs hat hierzu in seinem Urteil vom 23. März 2017 (Az. 13a B 17.50003 – juris Rn. 24 ff.) ausgeführt, dass er auf Grundlage des vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt ist, dass bei diesen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall einer Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist und dies wie folgt begründet:


20. „a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 – UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary – HHC 7.8.2015; AIDA – Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 – aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 – CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens – AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).


21. Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).


22. b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

23. Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen – UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn – Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

24. Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary – HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen – BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.


25. Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.


26. Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtsmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.


27. Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 – HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.


28. c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

29. Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als – aus ungarischer Sicht – sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

30. Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 – 2 LA 111/16 – juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 – 3 K 509.15 A – juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen“

31. Der erkennende Senat schließt sich unter Einbeziehung der aktualisierten Erkenntnislage dieser Auffassung an. Am 28. März 2017 trat in Ungarn ein Gesetz in Kraft, das die Grenzgesetzgebung im Fall von Krisensituationen („Notstand“) änderte und mit dem Änderungen für die Aufnahme- und Asylverfahren eingeführt wurden, um den Zugang zum ungarischen Hoheitsgebiet zu verhindern und irregulär einreisende Personen zurückzuweisen, den Zugang zu Asylverfahren durch die Transitzonen einzuschränken, alle Asylsuchenden während des Verfahrens zu inhaftieren und die Unterstützung und Dokumentation für Asylsuchende zu beschränken (Stellungnahme UNHCR v. 28.6.2017 an das VG Ansbach; Pro Asyl v. 8.3.2017). Nach Angaben des UNHCR betrifft dies auch Asylsuchende, die unter der Dublin-Verordnung nach Ungarn überstellt werden. Ungarn weigerte sich danach zudem Asylsuchende auf Grundlage der Dublin-Verordnung zurückzunehmen und setzte die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten diesbezüglich aus. Die Inhaftierung von Asylsuchenden in Ungarn erfolgte weiterhin ohne die notwendigen Schutzvorkehrungen, die sicherstellen, dass eine Inhaftierung rechtmäßig, notwendig und verhältnismäßig ist (Amnesty Report 2017 Ungarn, Berichtszeitraum 1.1.2016 bis 31.12.2016). Nach den Feststellungen der Bundesregierung sind Überstellungen nach Ungarn nur noch eingeschränkt möglich und werden nur dann durchgeführt, wenn die ungarischen Behörden im Einzelfall schriftlich zusichern, dass Dublin-Rückkehrer gemäß der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU untergebracht und ihre Asylverfahren nach Maßgabe der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt werden (BT-Drs. 18/13428 Nr. 9). Seit der Mitteilung der EU-Kommission am 17. Mai 2017 über weitere Maßnahmen gegenüber Ungarn gab es zudem keine Überstellungen nach Ungarn (BT-Drs. 18/13428 Nr. 10). Der Senat kommt daher zu der Überzeugung, dass nach wie vor Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer – wie der Kläger – eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten haben (ebenso: NdsOVG, B.v. 20.12.2016 – 8 LB 184/15 – juris Rn. 28; VGH BW, U.v. 13.10.2016 – A 11 S 1596/16 – juris Rn. 22; OVG Saarl, U.v. 9.3.2017 – 2 A 365/16 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003 – juris Rn. 22; SächsOVG, U.v. 6.6.2017 – 4 A 584/16.A – juris Rn. 27; HessVGH, B.v. 24.8.2017 – 4 A 2986/16.A – juris Rn. 44).

32. Es kann offen bleiben, ob im Hinblick auf die vom Beklagten an die ungarischen Behörden gerichtete Anfrage vom 2. November 2017, ob der Kläger im Falle einer Rückführung gemäß der Aufnahmerichtlinie untergebracht wird und sein Asylverfahren nach Maßgabe der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt wird, etwas anderes zu gelten hat. Denn unabhängig davon, ob im Hinblick auf die o.g. Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens überhaupt davon ausgegangen werden kann, dass eine derartige Garantieerklärung geeignet ist, an den systemischen Mängeln etwas zu ändern oder diese zu beseitigen und ob im Hinblick auf die Überstellungspraxis in Bezug auf Ungarn überhaupt eine zeitnahe Rücküberstellung im Bereich des Möglichen liegt und sich die Beklagte durch die Aufstellung weiterer Voraussetzungen für eine Überstellung selbst gebunden hat (vgl. OVG NW, B.v. 8.12.2017 – 11 A 1966/15.A – juris Rn. 10 ff.), liegt eine derartige Erklärung der ungarischen Behörden zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) jedenfalls nicht vor.

OVG NRW / Az.: 11 A 585/17.A / Ungarn

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A. Die Voraussetzungen der für die Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags (Ziffer 1. des Bescheids vom 13. November 2015) im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) maßgeblichen Rechtsgrundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Ungarn ist nicht mehr zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers. Die ursprünglich nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), gegebene Zuständigkeit Ungarns besteht nicht mehr.

I. Die ursprüngliche Zuständigkeit Ungarns ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Dublin III—VO. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ordnet an, dass, wenn ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift
liegen vor. Der Kläger hat sowohl nach seinen eigenen Angaben als auch nach den dem Bundesamt vorliegenden Daten von der Türkei aus (also einem Drittstaat) die Grenze nach Ungarn illegal überschritten und dort einen Asylantrag gestellt. Auf das
Aufnahmegesuch der Beklagten auf der Basis von Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO vom 21. August 2015 und vom 26. August 2015 hat Ungarn nicht reagiert, so dass nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO nach zwei Wochen davon auszugehen war, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wurde. Nach Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO ist der nach der Dublin III-VO zuständige Mitgliedstaat verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

II. Die Zuständigkeit Ungarns für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers ist gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO im Wege der Ermessensreduzierung auf Null entfallen. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Artikel 3 Absatz 1 beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Die Ermessensreduktion ergibt sich aus dem Beschleunigungsgrundsatz der Dublin III-V0 und der Verwaltungspraxis der Beklagten betreffend Überstellungen an Ungarn.

Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke, dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) […].

Im Falle des Klägers ist nicht erkennbar, dass dessen Rücküberstellung nach Ungarn innerhalb der Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO)
tatsächlich im Bereich des – realistisch betrachtet – Möglichen liegt […].

Bereits die tatsächliche Überstellungspraxis der Beklagten in Bezug auf Ungarn spricht maßgeblich gegen eine zeitnahe Rücküberstellung des Klägers. Die Zahlen der Überstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Systems sind stark rückläfig, seit dem 11. April 2017 wurden keine Überstellungen mehr nach Ungarn vorgenommen.

Nach einer im Internet abrufbaren Statistik der Bundesregierung (Auszug aus BT-Drs. 18111262), auf die die Beteiligten im Rahmen der Anhörung nach § 130a VwGO
hingewiesen wurden, betrug im Jahr 2016 die Anzahl der Übernahmeersuchen an Ungarn 11.998, denen Ungarn in 3.756 Fällen zugestimmt hat. Erfolgt sind tatsächlich lediglich 294 Überstellungen nach Ungarn. Die Zahlen für die ersten beiden Quartale des Jahres 2017 lassen sich der Kleinen Anfrage BT-Drs. 18/13190 entnehmen. Danach hat Ungarn im ersten Quartal 2017 von 1.317 Übernahmeersuchen
464 zugestimmt. 28 Überstellungen sind tatsächlich erfolgt. Im zweiten Quartal 2017 sank die Anzahl der  bernahmeersuchen weiter auf 754, Ungarn stimmte in 287 Fällen zu. Tatsächlich wurden bis zum 11. April 2017 lediglich zwei Asylbewerber und seither keiner mehr überstellt.

Die Bundesregierung kommt selbst nach Prüfung zu dem Ergebnis, dass Überstellungen nach Ungarn nur noch eingeschränkt möglich sind (Antworten auf die Fragen 9 und 11 der Kleinen Anfrage BT-Drs. 18113190). Die bis vor kurzem sehr geringe Zahl von Rücküberstellungen im Verhältnis zur Zahl der zu Überstellenden dürfte dazu beitragen, dass der ohnehin schon enorme Rückstau ständig weiter anwächst. Dass die Überstellungen nunmehr vollständig zum Erliegen gekommen sind, beschleunigt das Anwachsen des Rückstaus weiter. Ungarn begrenzt die Anzahl der Rücküberstellungen weiter dadurch, dass – so die Darstellung des European Asylum Support Office (EASO) in der Beschreibung des ungarischen Asylsystems (2015) – maximal zwölf Dublin-Rückkehrer pro Tag aus allen Mitgliedstaaten auf dem Luftweg
nach Ungarn zurückgeführt werden dürfen. Zudem ergibt sich aus den, dem Senat in anderen Verfahren vorliegenden, Zustimmungsschreiben der ungarischen Behörden, auf die die Beteiligten im Anhörungsschreiben nach § 130a VwGO ebenfalls hingewiesen wurden, das Überstellungen nur Von Montag bis Donnerstag (8 bis 15 Uhr) erfolgen sollen.

Darüber hinaus hat die Beklagte ihr Ermessen im Wege der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG) noch weiter beschränkt, indem sie zusätzliche Voraussetzungen für eine Überstellung nach Ungarn aufgestellt hat. Nach den Erklärungen der Bundesregierung in der Kleinen Anfrage BT-Drs. 18/13190 werden Überstellungen nach Ungarn „nur dann durchgeführt, wenn die ungarischen Behörden (im Einzelfall) schriftlich zusichern, dass Dublin-Rückkehrer gemäß der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU untergebracht und ihre Asylverfahren nach Maßgabe der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt werden“. Mit dieser Vorgehensweise hat sich die Beklagte unabhängig von den Regelungen der Dublin III-VO eine weitere Voraussetzung für Überstellungen nach Ungarn auferlegt, so dass sich ihr Ermessen in den Fällen, in denen Ungarn keine entsprechende Erklärung vorlegt, auch deshalb auf Null reduziert und sie verpflchtet ist, ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin Ill-V0 auszuüben.

Die ungarischen Behörden haben bislang betreffend den Kläger keine entsprechende Erklärung vorgelegt, obwohl die Beklagte unter dem 13. September 2017 eine entsprechende Anfrage gestellt hat. Seit dieser sind über zwei Monate vergangen.
Zudem ist auch die von der Beklagten gesetzte Frist zur Beantwortung der Anfrage seit dem 16. Oktober 2017 abgelaufen. In diesem Zusammenhang sind auch die
sonstigen Regelungen der Dublin III-V0 zum Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren zu berücksichtigen. Nach Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO entscheidet der ersuchte Mitgliedstaat über das Aufnahmegesuch innerhalb von zwei Monaten, nach Art. 22 Abs. 6 Dublin III-VO innerhalb von einem Monat. Gemäß Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO entscheidet der ersuchte Mitgliedstaat über das Gesuch um Wiederaufnahme nicht später als einen Monat, nachdem er mit dem Gesuch befasst Wurde, und nach Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO innerhalb von zwei Wochen. Gerade weil die Dublin III-VO für die Abgabe von Erklärungen unter den Mitgliedstaaten derart kurze Fristen vorsieht, ist davon auszugehen, dass den ungarischen Behörden die Relevanz einer zeitnahen Beantwortung der genannten Anfrage bewusst und eine dementsprechend zügige Erklärung möglich gewesen wäre. Diese Fristen wären hinsichtlich des Schreibens vom 13. September 2017 zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen. Daher ist hier die von der Beklagten aufgestellte zusätzliche Voraussetzung des Vorliegens einer entsprechenden Erklärung aus Ungarn nicht erfüllt.

Die Beklagte hat auch nicht ansatzweise dargelegt, aus welchen Gründen eine Überstellung des Klägers realistischerweise dennoch erfolgen kann und wahrscheinlich auch erfolgen wird […]

Das Bundesamt übersandte auf den gerichtlichen Hinweis vom 5. September 2017 lediglich die unter dem 13. September 2017 gestellte Anfrage an Ungarn, in der um Antwort bis zum 15. Oktober 201 7 gebeten wurde.

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 11. April 2017 – 1 B 39.17 – davon ausgeht, dass die Annahme, die Beklagte sei in Fällen dieser Art verflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs […] nicht ohne Weiteres zu vereinbaren sein dürfte […], führt dies zu keinem anderen Ergebnis.

Denn zum einen betrifft die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union allein die Konstellation eines schwer kranken Asylbewerbers, dessen Gesundheitszustand sich voraussichtlich nicht kurzfristig bessern wird oder sich im Fall einer langfristigen Aussetzung des Verfahrens verschlechtern kann. In diesem Zusammenhang könne Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO nicht im Licht von Art. 4 der Charta dahin ausgelegt werden, dass sie den Mitgliedstaat in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens zur Anwendung der Ermessensklausel verpflichte. Diese Fälle sind aber mit der hier voraussichtlich nicht erfolgenden Überstellung aufgrund der generellen Einholung einer Erklärung der ungarischen Behörden, wonach die Einhaltung der EU-Standards im Einzelfall garantiert wird, nicht vergleichbar. Denn im Gegensatz zu dem Fall, über den der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden hat, betrifft die Unmöglichkeit der Überstellung hier sämtliche Fälle der in Betracht kommenden (Rück-)Überstellungen in einen konkreten Mitgliedstaat, nämlich nach Ungarn. Es ist gerade kein Einzelfall betroffen, in dem aufgrund der Gesundheitssituation eine Überstellung etwa auf unbestimmte Zeit verzögert wird und damit ungewiss ist. Stattdessen ist hier die Erklärung der Bundesregierung in der Kleinen Anfrage .
BT-Drs. 18/13190 zu berücksichtigen, dass keine Überstellung erfolgen wird, ohne dass Ungarn eine entsprechende Erklärung abgibt. Dies ist hier seitens der ungarischen Behörden über einen Zeitraum von bislang zwei Monaten, nämlich seit dem 13. September 2017, nicht geschehen.

Zum anderen ist inzwischen eine Änderung der Sachlage eingetreten. Seit dem 11. April 2017 sind keine Überstellungen an Ungarn erfolgt. Zudem hat sich die Beklagte
mit der Anfrage an Ungarn nach Einhaltung der EU-Standards zusätzlich zu den in der Dublin III-V0 vorgesehenen Voraussetzungen eine Weitere geschaffen, an der sie sich festhalten lassen muss. Sie hat bisher nicht darlegt, aus welchen Gründen eine Überstellung dennoch möglich ist. Die Erklärung der Bundesregierung in der Kleinen Anfrage BT-Drs. 18/13190 datiert zudem vom 24. August 2017 und lag mithin im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2017 im Hinblick auf die Beurteilung einer Ermessensreduktion für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts noch nicht vor.

B. Die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (a. F.) gestützte Abschiebungsanordnung in Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids ist ebenfalls rechtswidrig. Nach §§ 34a Abs. 1
Satz 1, 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG n. F. ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Abschiebung nach Ungarn ist nicht durchführbar; Ungarn ist nach den unter A. getroffenen Feststellungen nicht mehr zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers.

VG Frankfurt / Az: 2 K 8792/17.F.A / Ungarn

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Das Bundesverwaltungegericht hat mit Beschluss vom 27. Juni 2017 (1 C 26716) dem Europäischen Gerichtshof
(EUGH) im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Artikel 267 AEUV unter Anderem die folgenden Fragen vorgelegt:

„Darf ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 als unzulässig abgelehnt werden, wenn ein anderer EU-Mitgliedstaat bereits Flüchtlingsschutz gewährt hat, in diesem Mitgliedstaat anerkannten Flüchtling aber

a) keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur deutlich eingeschränkt im Umfang existenzsichernde Leistungen gewährt werden, sie insoweit aber nicht anders
behandelt werden als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates?

b) Die Rechte nach Artikel 20 ff. AL 20/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) zwar gewährt werden, sie aber faktisch erschwerten Zugang zu den damit verbundenen Leistungen haben oder solchen Leistungen familiärer oder zivilgesellschaftliche Netzwerke haben, die staatlichen Leistungen ersetzen oder ergänzen“?

Bis zur Entscheidung des EUGH hat das Bundesverwaltungsgericht das Revisionsverfahren ausgesetzt. Diese zu den Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Italien ergangene Rechtsprechung lässt sich auf die Verhältnisse in Ungarn übertragen, denn nach der bestehenden Auskunftslage ist ebenfalls nicht geklärt, ob in Ungarn die Anforderungen der Artikel 20 ff. der EU-Qualifikationsrichtlinie eingehalten werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Hess VGH mit Beschluss vom 24. August 2017 festgestellt hat, dass das ungarische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen an systemischen Mängeln leidet (4 A 2986/16.A). Vor diesem Hintergrund ist derzeit offen und bedarf einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nach Klärung der Vorlagefragen durch den EUGH, ob die Antragstellerin angesichts der Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Ungarn auf europarechtskonforme Weise nach Ungarn abgeschoben werden darf.

VG Potsdam / Az.: VG 1 K 458/15.A / Ungarn

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Nach der Überzeugung der Kammer bestehen in Ungarn aktuell grundlegende Defizite sowohl hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren als auch in Bezug auf dessen Ausgestaltung sowie im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen während des
Asylverfahrens, die in ihrer Gesamtheit die Annahme rechtfertigen, dass der Klägerin bei einer Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK droht […].

Diese Annahme beruht insbesondere auf den gesetzlichen Entwicklungen in Ungarn der letzten Jahre. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer lnhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam
es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die lnhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien […].

Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert […].

Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten […].

Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines
Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann […]. Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat […]

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt. Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt […].

Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden. Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde.

Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Klägerin insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden. Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer ldentität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des
Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens,
wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht […].

Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende lnhaftierung von Asylbewerbern. Auch die tatsächliche Praxis der lnhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen,
ob Alternativen zur Haft bestünden, hiervon würde jedoch nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert […].

Seit dem Jahr 2013 soll die Inhaftierungsquote deutlich angestiegen sein und Anfang November 2015 soll sie CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben. Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden. Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert […]; Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver
Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu
gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht
eingehalten werden […]; Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen. Weiter gibt es zwar Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar. Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv. Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht. Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische
Überprüfung. Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf—) Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten. In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne. Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden […].

Zwischenzeitlich ist in Ungarn am 28. März 2017 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, nach der für alle Asylbewerber, die älter als 14 Jahre sind, auch für diejenigen, die nicht über die serbisch-ungarische Grenze eingereist sind, das gesamte Asylverfahren – nicht wie bisher, lediglich die Zulässigkeitsprüfung über maximal 28 Tage – in den Transitzonen an der serbischen Grenze abgewickelt wird […].

Mit einer Pressemitteilung vom 10. April 2017 rief der UNHCR auf, Dublin-Überstellungen nach Ungarn auszusetzen. Es sei am 28. März 2017 ein neues Gesetz (Gesetz T/13976 über die Anpassung mehrerer Gesetze zur Verschärfung der Verfahren in den Grenzzonen) in Kraft getreten, das Asylsuchende zwangsweise interniere. Auch werde ihnen durch physische Hindernisse und eine restriktive Politik effektiv der Zugang zum Territorium und damit zum Asyl verwehrt.

Aufgrund des Vorstehenden ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig sich wegen der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn als rechtswidrig darstellt und daher aufzuheben ist.

HESSISCHER VERWALTUNGSGERICHTSHOF / Az.: 4 A 2986/16.A / Ungarn

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Leitsatz:

Das ungarische Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen leiden derzeit an systemischen Mängeln. Dublin-Rückkehrern droht eine Rückführung nach Serbien „als sicherem Drittstaat“ ohne inhaltliche Prüfung ihres Asylgesuchs. Ferner haben sie seit Inkrafttreten der Änderungen des ungarischen Asylrechts im März 2017 eine lnternierung in sog. Transitzentren zu befürchten, die nach derzeitigem Erkenntnisstand eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellt.

Ausführlich:

42. Zu dem danach maßgelblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats weist das Asylsystem in Ungarn systemische Mängel auf.

43. Zunächst liegt ein systemischer Mangel darin, dass eine Rückführung von Asylantragstellern von Ungarn nach Serbien als „sicheren Drittstaat“ ohne inhaltliche Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit droht. Nachdem Ungarn seit 2013 die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaates in Bezug auf Serbien zunächst ausgesetzt hatte, hat es diese seit Sommer 2015 wiederaufgenommen (vgl. UNHCR, Hungary as a Country of Asylum, Mai 2016, Rdnr. 28 ff). Dies beruhte auf einer Änderung des ungarischen Asylgesetzes im Juni 2015, dass es der Regierung erlaubt, sichere Drittstaaten zu bestimmen. Im Juli 2015 bestimmte die Regierung, dass u.a. auch alle EU-Beitrittskandidaten, wozu auch Serbien zählt, als sichere Drittstaaten anzusehen seien (vgl. Regierungsverordnung 191/2015 vom 21. Juli 2015 über die Nationale Bestimmung vor sicheren Herkunfts- und sicheren Drittstaaten, in UNHCR, Hungary as a Country of Asylum, Mai 2016, Rdnr. 33, Fußnote 76). Die Rückführungen stellen einen Verstoß gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK dar, der die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh birgt, weil von Serbien aus eine Abschiebung in andere Staaten oder den Herkunftsstaat droht, ohne dass eine den europäischen Mindestanforderungen genügende Prüfung der Schutzbedürftigkeit erfolgt (so auch OVG Niedersachsen, Urteil vom 15. November 2016 — 8 LB 92/15 —‚ juris; OVG Saarland, Urteil vom 9. März 2017 — 2 A 365/16 —‚ juris).

44. Die Ausgestaltung des Asylverfahrens in Serbien genügt nicht den Anforderungen an das europarechtlich normierte Konzept des sicheren Drittstaates, innerhalb dessen allein eine Abschiebung in einen Drittstaat ohne inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens zulässig ist. Denn nach dem europarechtlichen Konzept darf ein Drittstaat nur dann als sicher angesehen werden, wenn dieser Staat seinerseits die Genfer Flüchtlingskonvention ohne geografischen Vorbehalt ratifiziert hat und deren Bestimmungen einhält, über ein gesetzlich festgelegtes Asylverfahren verfügt sowie die Europäischen Menschenrechtskonvention ratifiziert hat und die darin enthaltenen Bestimmungen, einschließlich der Normen über wirksame Rechtsbehelfe, einhält (Art. 39 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [ABl. L 180 S. 60] — VerfahrensRL —). Nur dann ist eine Abschiebung dorthin ohne vorgeschaltete inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens zulässig. Diesen Anforderungen genügt Serbien nicht. Es droht eine weitere Rückführung ohne vorgeschaltete inhaltliche Prüfung des Schutzbegehrens von Serbien in andere Staaten, die ihrerseits den Anforderungen nicht genügen. So betrachtet Serbien alle Nachbarstaaten, Griechenland und auch die Türkei als sichere Drittstaaten (UNHCR, Serbia as a Country of Asylum, August 2012, Rdnr. 37). Der UNHCR empfiehlt seit 2012, Serbien wegen grundlegender Mängel des Asylsystems nicht als sicheren Drittstaat einzustufen und Asylbewerber nicht dorthin abzuschieben (UNHCR, Serbia as a Country of Asylum, August 2012, Rdnr. 81; UNHCR, Hungary as a Country of Asylum, Mai 2016, Rdnr. 71); diese Bewertung des serbischen Asylsystems als mangelhaft wird auch von der Europäischen Kommission geteilt (Serbia Progress Report, Oktober 2014, S. 52).

45. Regelmäßig ist für diejenigen Asylantragsteller, die über Serbien nach Ungarn gelangten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass das ernsthafte Risiko der Abschiebung dorthin besteht. Da Serbien seit Juli 2015 von Ungarn wieder als sicherer Drittstaat betrachtet wird, werden Asylanträge von über Serbien eingereisten Asylantragstellern regelmäßig als unzulässig abgelehnt (UNHCR, a.a.0., Mai 2016, S. 14 ff; aida, Country—Report: Hungary, 31. Dezember 2016, S. 50 ff; bordermonitoring.eu/Pro Asyl, Gänzlich unerwünscht — Entrechtung, Kriminalisierung und Inhaftierung von Flüchtlingen in Ungarn, Juli 2016, S. 17). Dies betrifft auch den Kläger, der nach seinen Angaben über den Landweg von Serbien aus nach Ungarn gelangte, wie im Übrigen ca. 99 % aller Asylsuchenden in Ungarn (bordermonitoringeu/Pro Asyl, a.a.0., Juli 2016, S. 17 unter Bezugnahme auf die
Stellungnahme des Europäischen Flüchtlingsrates — ECRE — aus dem Jahr 2015).

46. Die Abschiebung des Klägers nach Serbien ist auch nicht etwa deshalb unwahrscheinlich, well in der Mehrzahl der Fälle eine Überstellung tatbestandlich und auch nach der Vollzugspraxis Ungarns nicht in Frage kommt. So wird davon ausgegangen, dass eine Überstellung von Ungarn nach Serbien nur auf der Grundlage des zwischen Serbien und Ungarn geschlossenen Rückübernahmeabkommens erfolge könne. Dessen Voraussetzungen (Fristen, Nachweis der Einreise über Serbien, Übernahmebestätigung Serbiens, etc.) seien aber regelmäßig nicht erfüllt. Zudem habe Serbien seine Verpflichtungen aus dem Abkommen weitgehend ausgesetzt (vgl. VG München, Urteil vom 15. Februar 2017 — M 8 K 16.50303 —, juris; VG Berlin, Urteil vom 13. Dezember 2016 — 3 K 509.15 A —, juris m.w.N). Dieser Bewertung vermag sich der Senat angesichts derjüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetzgebung nicht anzuschließen. Seit Juli 2016 ist die ungarische Polizei berechtigt, in einem Bereich von 8 km zur Grenze zu Serbien auf ungarischem Hoheitsgebiet aufgegriffene Schutzsuchende ohne jede Prüfung und ohne jedes Überstellungsverfahren über die Grenze nach Serbien zu verbringen (Amnesty International, stranded hope, September 2016, S. 19; Amnesty International, Amnesty Report 2017 Ungarn, 31. Dezember 2016, S. 2; UNHCR, update #31, September 2016, S. 4). Seit März 2017 gilt dies für das gesamte Staatsgebiet (Human Rights Watch, Draft Law Tramples Asylum Seekers‘ Rights, 7. März 2017, S. 1; OVG Sachsen, Urteil vom 06. Juni 2017 — 4 A 584/16.A —, juris Rdnr. 40). Im Hinblick auf diese neuen Befugnisse haben die Angaben des Liaisonmitarbeiters der Beklagten im Lagebericht vom 13. Januar 2016 keine Aussagekraft mehr. Die Bewertung, wegen fehlender Erfüllung der formellen Voraussetzungen des Rücknahmeübereinkommens bestehe nur eine geringe Gefahr der Abschiebung nach Serbien, ist angesichts der jüngsten Änderungen überholt. Insbesondere aus den Transitzonen erfolgen Überstellungen nicht unter den Voraussetzungen des Rücknahmeübereinkommens, sondern werden faktisch in Form schlichter Begleitungen nach Serbien ohne Beteiligung der serbischen Behörden vorgenommen (UNHCR, Die Situation von Asylsuchenden nach einer Rücküberstellung nach Ungarn gemäß der Dublin—Verordnung, 9. September 2016, S. 1). Dabei werden abgelehnte Asylbewerber ohne Beteiligung der serbischen Behörden schlicht auf eine schmalen Streifen Land auf der Außenseite der Transitzone geleitet (bordermonitoringeu/Pro Asyl, a.a.0.‚ Juli 2016, 8.22). Dieser Bereich gehört zwar zum ungarisches Staatsgebiet, stellt jedoch nach Auffassung der ungarischen Behörden Niemandsland dar (aida, a.a.0.‚ 31. Dezember 2016, S. 36; bordermonitoring.eu/Pro Asyl, a.a.0.‚ Juli 2016, S. 22).

47. Auch können Asylbewerber, die sich in der Transitzone aufhalten bzw. untergebracht sind, regelmäßig keinen effektiven Rechtsschutz erlangen, wenn ihr Asylgesuch als unzulässig abgelehnt wird, weil sie über Serbien eingereist sind, das als sicherer Drittstaat betrachtet wird. Zwar sind nach ungarischem Asylrecht Asylbewerber vor einer entsprechenden Entscheidung anzuhören. Dabei ist ihnen Gelegenheit zu gegeben, innerhalb von 3 Tagen darzulegen, weshalb in ihrem jeweiligen Fall der Drittstaat nicht sicher ist (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 37). Dennoch werden die Anträge schon am Tag der Antragstellung oder am Folgetag als unzulässig abgelehnt (UNHCR, Hungary as a Country of Asylum, Mai 2016, Rdnr. 25). In der Praxis wird die 3-Tages-Frist dadurch unterlaufen, dass den Asylbewerbern unmittelbar nach der Anhörung eine Erklärung zum Unterschreiben vorgelegt wird, nach der sie mit dem Vemeis auf den sicheren Drittstaat nicht einverstanden sind. Mit dem Ausfüllen dieser Erklärung wird das Anhörungserfordernis als erfüllt angesehen und die Unzulässigkeitsentscheidung getroffen. Auf diese Weise wird verhindert, dass anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen wird und eine nähere Begründung der mangelnden Qualität von Serbien als sicherer Drittstaat erfolgt (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 37). Die Unzulässigkeitsentscheidung kann sodann durch einen innerhalb von sieben Tagen zu stellenden Rechtsbehelf angefochten werden, wobei allerdings zweifelhaft ist, ob das Gericht neue Tatsachen und Umstände berücksichtigt (bordermonitoring.eu/Pro Asyl, a. a. O., Juli 2016, S. 19; UNHCR, a. a. O., Mai 2016, Rdnr. 18). In der Rechtsbehelfsfrist und solange die Klage anhängig ist, längstens jedoch 28 Tage, war es schon bisher den Asylbewerbern in der Transitzone verwehrt, diese in Richtung Ungarn zu verlassen (Amnesty International, Stranded Hope, September 2016, S. 16; UNHCR, a. a. O., Mai 2016, Rdnr. 26). Eine — nicht zwingend vorgesehene — gerichtliche Anhörung findet in Form einer Videokonferenz statt (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 39, UNHCR, a. a. O., Mai 2016, Rdnr. 17). Die gerichtliche Entscheidung soll zwar innerhalb von acht Tagen (UNHCR, a. a. O., Mai 2016, Rdnr. 17) getroffen werden, ergeht tatsächlich jedoch teilweise bereits ein bis zwei Tage nach Eingang des Verfahrens (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 39).
Selbst wenn ein Gericht die auf der Einstufung Serbiens als sicherer Drittstaat beruhende Unzulässigkeitsentscheidung aufhebt, wiederholt die ungarische Asylbehörde regelmäßig die aufgehobene Entscheidung und prüft Asylanträge inhaltlich erst dann, wenn eine zweite oder dritte gerichtliche Aufhebung erfolgt ist (UNHCR, a. a. O., Mai 2016, Rdnr. 42; bordermonitoring.eu/Pro Asyl, a. a. O., Juli 2016, S. 19). Im Falle einer negativen gerichtlichen Entscheidung oder der Rücknahme oder Unanfechtbarkeit der Unzulässigkeitsentscheidung werden die Asylbewerber aus der Transitzone in Richtung Serbien entlassen (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 38). Dabei kann auch das Recht auf anwaltlichen Beistand während des gesamten Verfahrens in der Praxis nur schwer umgesetzt werden. Da schon das Interview zum Fluchtweg unmittelbar nach der Ankunft in der Transitzone geführt wird und auch nach gerichtlicher Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung eine erneute Anhörung zur Frage des sicheren Drittstaates äußerst kurzfristig angesetzt wird, kann anwaltlicher Beistand kaum rechtzeitig eintreffen (UNHCR, a. a. O., Mai 2016, Rdnr. 27). Die im Klageverfahren durch den anwaltlichen Beistand vorgelegten Unterlagen werden von der Asylbehörde zum Teil nicht an das Gericht weitergeleitet. Selbst wenn sie direkt bei Gericht eingereicht werden, ist aufgrund der beschleunigten Verfahrensbearbeitung nicht gewährleistet, dass sie den zuständigen Richter vor der Entscheidung erreichen (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 39). Darüber hinaus wird der Kontakt zwischen Rechtsanwälten und Asylbewerbern seit Anfang 2017 durch Zugangshindernisse erschwert (aida, a. a. O., 31. Dezember 2016, S. 40; vgl. insgesamt auch OVG Sachsen, Urteil vom 6. Juni 2017 — 4 A 584/16.A —, juris). Zudem sollen ab 28. März 2017 in Kraft getretene Änderungen des ungarischen Asylrechts die Asylverfahren welter beschleunigen. Für eine Berufung nach Ablehnung gilt eine Frist von drei Tagen, die gerichtliche Anhörung kann in der Transitzone oder durch technische Zuschaltung erfolgen (FAZ, Ungarn hält Flüchtlinge in Transitzonen fest, 8. März 2017; Süddeutsche Zeitung, Ungarn interniert Flüchtlinge in Lagern, 8. März 2017). Aufgrund der seit März 2017 vorgesehenen Internierung aller Asylbewerber in den sog. Transitzentren (UNHCR, Dublin-Überstellungen nach Ungarn aussetzen, 10. April 2017) ist zudem davon auszugehen, dass auch der Kläger von diesen für die Asylverfahrensausgestaltung in den Transitzentren beschriebenen Umständen betroffen sein wird.

48. Ein weiterer systemischer Mangel des ungarischen Asylsystems besteht darin, dass seit Inkrafttreten der Änderungen der rechtlichen Grundlagen des ungarischen Asylrechts vom März 2017 die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch die bevorstehende Verbringung und Festsetzung des Klägers bis zum Abschluss seines Asylverfahrens in einem von zwei sog. Transitzentren (Internierung) droht, die er ausschließlich in Richtung Serbien verlassen kann.

49. Diese Internierungen erfolgen ohne Ausnahme und ohne besonderen Anlass. Ihnen sind alle Schutzsuchenden in Ungarn, selbst unbegleitete Kinder über 14, ausgesetzt, unabhängig davon, von wo sie eingereist sind (Amnesty International, Hungary: Legal amendments to detain all asylum-seekers a deliberate new attack on the rights of refugees and migrants, 9. März 2017, S. 3; FAZ, a.a.0., 8. März 2017, Süddeutsche Zeitung, a.a.0., 8. März 2017). Die Internierung stellt einen Freiheitsentzug dar (UNHCR, a.a.0., 10. April 2017; vgl. EGMR, Urteil vom 14. März 2017 —47287/15 —, TZ. 56, abrufbar unter http://hudoc.echr.coe.int/eng#{„itemid“z[„001-172091“]}). Darin liegt ein Verstoß gegen Art. 26 VerfahrensRL, der eine Ingewahrsamnahme eines Schutzsuchenden allein, weil er einen Antrag gestellt hat, untersagt.

50. Ob die darin liegende Verletzung des Rechts auf Freiheit aus Art. 6 EU-GRCh bzw. Art. 5 EMRK für sich betrachtet schon eine menschenunwürdige und/oder erniedrigende Behandlung darstellt, kann dahinstehen. Jedenfalls aufgrund der konkreten Bedingungen der Internierung ist die erforderliche Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung und damit der Verletzung von Art. 4 EU-GRCh anzunehmen. Denn die Umstände der Internierung der Asylbewerber in den Transitzentren gehen nach den bisherigen dem Gericht bekannt gewordenen Informationen über eine bloße Beschränkung der Freizügigkeit auf ein zumutbares Gebiet (vgl. insoweit Art. 7 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABI. L 180 S. 96) unter menschenwürdigen Bedingungen hinaus.

51. Bei den Transitzonen handelt es sich um die bereits im Rahmen der Errichtung des Grenzzaunes zu Serbien im September 2015 geschaffenen Zentren, die unmittelbar an der Grenze liegen. Sie sind ursprünglich zur Aufnahme der aus Serbien einreisenden Schutzsuchenden errichtet worden und sollten nur der Durchführung der Zulässigkeitsprüfung des Asylverfahrens für Personen ohne besonderes Schutzbedürfnis dienen (bordermonitoringeu/Pro Asyl, a.a.0., Juli 2016, S. 22; UNHCR, a.a.0., Mai 2016, S. 8 f). Nach den tatsächlichen Erkenntnissen sind diese Transitzentren so ausgestaltet, dass es sich um unmittelbar an der Grenze gelegene
umzäunte Gelände handelt, die mit Wohn- und Bürocontainern („Schiffscontainer“), neuerdings auch mit Spielplatz und Sportstätte ausgestattet sind. Die Zäune sind mehrfach mit Stacheldraht versehen (vgl. OVG Sachsen, Urteil vom 06. Juni 2017 — 4 A 584/16.A —, juris; UNHCR, a.a.0., 10. April 2017, S. 2; Amnesty International, a.a.0., 9. März 2017, S. 2; Süddeutsche Zeitung, 11. April 2017; Forschungsgesellschaft Flucht & Migration, UN: Situation in Ungarn lässt Rückführungen von Flüchtlingen nicht zu, 10. April 2017, S. 2). Die Zentren können von den Asylbewerbern nur in Richtung der Außengrenze verlassen werden (Amnesty International, Stranded Hope, September 2016, S. 16 f.; FAZ, Ungarn hält Flüchtlinge in den Transitzonen fest, 8. März 2017;
Forschungsgesellschaft Flucht & Migration, a.a.0., 10. April 2017). Diese Bedingungen verbunden mit dem Umstand, dass eine lnternierung in diesen Zentren für das gesamte Asylverfahren erfolgt und damit ihre Dauer für den jeweiligen Asylantragsteller weder absehbar, beeinflussbar noch wenigstens mit einer absoluten Obergrenze limitiert ist, lässt die lnternierung unmenschlich und erniedrigend erscheinen. Eine zeitlich unbegrenzte lnternierung auf engstem Raum in Containern nur aus dem Anlass der Beantragung von internationalem Schutz zeigt fehlenden Respekt vor der Menschenwürde des Einzelnen.

52. Nach Inkraftsetzen dieser Regelungen hat der UNHCR am 10. April 2017 dazu aufgerufen, Überstellungen von Asylbewerbern aus anderen EU-Staaten nach Ungarn im Dublinverfahren zeitweise auszusetzen. UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi sagte: „Die Situation für Asylsuchende in Ungarn, die schon zuvor Anlass zu großer Sorge gab, hat sich noch einmal verschlechtert, seit ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, das Asylsuchende zwangsweise interniert“. Er fügte hinzu: „Angesichts der sich verschlechternden Situation von Asylsuchenden in Ungarn, fordere ich die Staaten dazu auf, Dublin-Überstellungen solange auszusetzen, bis die ungarischen Behörden ihre Praktiken und Gesetze in Einklang mit europäischem und internationalen Recht gebracht haben“ (UNHCR, a.a.0., 10. April 2017). Zwar kommt den Aufrufen des UNHCR keine Bindungswirkung zu, jedoch ist die Stellungnahme des UNHCR regelmäßig in Betracht zu ziehen und zu berücksichtigen (vgl. Art. 10 Abs. 3 Buchst b VerfahrensRL und Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [ABl. L 337 S.9]), insbesondere da diesem die Übemachung der Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention obliegt (Art. 35 GFK; vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 — C- 528/11 —, juris Rdnr. 44).

 

OVG Sachsen / Az.: 4 A 584/16.A bzw. 4 K 673/15.A / Ungarn

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2.2.2. Nach der Überzeugung des Senats bestehen in Ungarn aktuell grundlegende Defizite sowohl hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren als auch in Bezug auf dessen Ausgestaltung. Diese rechtfertigen in ihrer Gesamtheit die Annahmen, dass der
Kläger nach einer Überstellung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine inhaltliche Prüfung seines Asylgesuchs erreichen kann und er die Abschiebung in sein
Heimatland oder das faktische Verbringen seiner Person nach Serbien zu befürchten hat. Eine Überstellung nach Ungarn würde daher wegen der Gefahr der Kettenabschiebung seine Rechte aus Art. 4 EUGrCh/Art. 3 EMRK verletzen (zur
Verletzung von Art. 3 EMRK durch das Risiko des refoulement: EGMR, Urt. v. 14. März 2017 – 47287/15 -, Tz. 112 ff.). Insofern kommt es nicht darauf an, dass der Kläger in Ungarn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen einer Inhaftierung
gleichkommenden Freiheitsentzug zu erwarten hat.

2.2.2.1. Das ungarische Asylrecht und die Aufnahmebedingungen sind davon geprägt, den Zugang zu Asyl im Land zu beschränken bzw. zu behindern (UNHCR, Ungarn als Asylland, deutsche Version: Juli 2016, S. 4). Es handelt sich um systemische Mängel, die die ernsthafte Gefahr bergen, dass dem Kläger der Zugang zu einer Sachprüfung seines Asylantrages verschlossen bleibt.

Neben der grenzsichernden Maßnahme der Errichtung eines Zaunes entlang der ungarischen Grenze zu Serbien und Kroatien hat Ungarn Transitzonen eingerichtet, in
denen seit 2015 nach dem damals geltenden ungarischen Asylrecht – außer in Fällen von Personen mit besonderen Bedürfnissen – die Zulässigkeitsprüfung zum Asylverfahren der über diese Grenze einreisenden Antragsteller durchzuführen war (bordermonitoring.eu/Pro Asyl e.V., Gänzlich unerwünscht, Juli 2016, S. 22; UNHCR a. a. O., S. 9). Allerdings wurden in den Transitzonen an der kroatischen Grenze seit 31. März 2016, zumindest bis Mai 2016, keine Asylanträge gestellt (UNHCR a. a. O., S. 11). Bei den Transitzonen handelt es sich um unmittelbar an der Grenze gelegene umzäunte Gelände mit Wohn- und Bürocontainern, neuerdings auch mit Spielplatz
und Sportstätte, die die Asylbewerber nur in Richtung der Außengrenze verlassen können (Amnesty International [ai], Stranded Hope, September 2016, S. 16 f.; Frankfurter Allgemeine Zeitung [FAZ] v. 24. Juni 2016, An der roten Linie;
Frankfurter Rundschau [FR] v. 7. April 2017, Spielplatz mit Stacheldraht).

Die ungarische Asylbehörde hatte dort innerhalb von acht Tagen eine Entscheidung zur Zulässigkeit des Asylantrages zu treffen (aida, Country Report: Hungary, 2016 update Feb. 2017, S. 36), wobei in den Transitzonen alle Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden (UNHCR a. a. O., S. 12 für den Zeitraum 15. September 2015 bis 31. März 2016). Dies beruht darauf, dass Ungarn Serbien als sicheren Drittstaat
ansieht und ein Asylantrag einer Person, die durch einen sicheren Drittstaat gereist ist und dort die Möglichkeit hatte, effektiven Schutz zu erlangen, nach ungarischem
Asylecht als unzulässig angesehen wird (aida a. a. O., S. 50 f.). Nach ungarischem Asylrecht sind die Asylbewerber vor einer entsprechenden Entscheidung anzuhören und es ist ihnen Gelegenheit zu gegeben, innerhalb von 3 Tagen darzulegen, weshalb in ihrem jeweiligen Fall der Drittstaat nicht sicher ist (aida a. a. O., S. 37). Gleichwohl erfolgen die Antragsablehnung als unzulässig entweder am Tag der Antragstellung bzw. am Folgetag (UNHCR a. a. O., S. 13), weil in der Praxis die 3-Tages-Frist dadurch unterlaufen wird, dass den Asylbewerbern unmittelbar nach der Anhörung eine Erklärung zum Unterschreiben vorgelegt wird, nach der sie mit dem Verweis auf den sicheren Drittstaat nicht einverstanden seien. Mit dem Ausfüllen dieser Erklärung wird das Anhörungserfordernis
als erfüllt angesehen und die Unzulässigkeitsentscheidung gefällt. Auf diese Weise wird verhindert, dass anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen wird und eine nähere Begründung der
mangelnden Qualität von Serbien als sicherer Drittstaat erfolgt (aida a. a. O., S. 37).

Die Unzulässigkeitsentscheidung kann durch einen innerhalb von sieben Tagen zu stellenden Rechtsbehelf angefochten werden, wobei zweifelhaft ist, ob das Gericht neue Tatsachen und Umstände berücksichtigt (bordermonitoring.eu/Pro Asyl e.V. a. a. O., S. 19; UNHCR a. a. O., S. 10). In der Rechtsbehelfsfrist und solange die Klage anhängig ist, längstens jedoch 28 Tage, war es den Asylbewerbern verwehrt, die
Transitzone in Richtung Ungarn zu verlassen (ai a. a. O., S. 16; UNHCR a. a. O., S. 13). Die – nicht zwingend vorgesehene – gerichtliche Anhörung findet in Form einer Videokonferenz statt (aida a. a. O., S. 16/39, UNHCR a. a. O., S. 10), wobei die
gerichtliche Entscheidung innerhalb von acht Tagen ergehen soll (UNHCR a. a. O., S. 10). Tatsächlich ergehen die Entscheidungen teilweise bereits ein bis zwei Tage
nach Eingang des Verfahrens (aida a. a. O., S. 39).

Selbst im Falle der gerichtlichen Aufhebung der auf Serbien als sicherer Drittstaat beruhenden Unzulässigkeitsentscheidung wiederholt die ungarische Asylbehörde die aufgehobene Entscheidung und prüft Asylanträge erst inhaltlich, wenn eine zweite oder dritte gerichtliche Aufhebung erfolgt ist
(UNHCR a. a. O., S. 19; bordermonitoring.eu/Pro Asyl e.V. a. a. O., S. 19). Im Falle einer negativen gerichtlichen Entscheidung oder der Rücknahme oder Unanfechtbarkeit der Unzulässigkeitsentscheidung werden die Asylbewerber aus der Transitzone in Richtung Serbien entlassen (aida a. a. O., S. 38).

Das Recht auf anwaltlichen Beistand während des gesamten Verfahrens kann in der Praxis nur schwer umgesetzt werden. So wird das Interview zum Fluchtweg unmittelbar nach der Ankunft in der Transitzone geführt. Selbst wenn nach
gerichtlicher Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung eine erneute Anhörung zur Frage des sicheren Drittstaates angesetzt wird, erfolgt dies so kurzfristig, dass der anwaltliche Beistand kaum rechtzeitig eintreffen kann (UNHCR a. a. O., S. 13). Die im Klageverfahren durch den anwaltlichen Beistand vorgelegten Unterlagen werden von der Asylbehörde dem Gericht zum Teil nicht vorgelegt. Selbst wenn sie direkt bei
Gericht eingereicht werden, erreichen sie den zuständigen Richter aufgrund der beschleunigten Verfahrensbearbeitung nicht immer vor der Entscheidung (aida a. a. O., S. 39). Darüber hinaus wird der Kontakt zwischen Rechtsanwälten und
Asylbewerbern seit Anfang 2017 durch Zugangshindernisse erschwert (aida, a. a. O., S. 40).

Zwischenzeitlich ist in Ungarn am 28. März 2017 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten, nach der für alle Asylbewerber, die älter als 14 Jahre sind, auch für
diejenigen, die nicht über die serbisch-ungarische Grenze eingereist sind, das gesamte Asylverfahren – nicht wie bisher, lediglich die Zulässigkeitsprüfung über maximal 28 Tage – in den Transitzonen an der serbischen Grenze abgewickelt wird (FAZ vom 7. April 2017, Raus nur rückwärts; Süddeutsche Zeitung [SZ] vom 11. April 2017, Asylbewerber in Ungarn; FR vom 7. April 2017 a. a. O.; Spiegel Online vom 10. April
2017, EU-Staaten sollen keine Flüchtlinge nach Ungarn schicken; Abschnitte 1 und 3 des in englischer Sprache vom Beklagten überreichten Gesetzestextes).

Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass das Asylgesuch des Klägers in der Sache geprüft wird. Vielmehr ist angesichts des klägerischen Reiseweges über Serbien eine Entscheidung über die Unzulässigkeit seines Asylantrages wegen der Einreise über einen sicheren Drittstaat absehbar.

Überdies ist – selbst wenn der Asylantrag des Klägers die Zulässigkeitshürde der Einreise durch einen sicheren Drittstaat überwinden würde – zu erwarten, dass sein Antrag lediglich als Folgeantrag angesehen und aus diesem Grund als unzulässig
abgewiesen wird. Nach einer Änderung des Asylgesetzes im Juli 2015 können Personen, deren Asylverfahren durch die ungarische Asylbehörde mit der Begründung eingestellt wurde, dass der Antrag nicht weiter verfolgt werde, binnen einer Frist von neun Monaten die Fortführung des Verfahrens persönlich beantragen (UNHCR a. a. O., S. 20). Die Einstellung des Verfahrens mit der Begründung, dass es nicht weiter verfolgt werde, findet regelmäßig dann statt, wenn der Asylbewerber das Land verlassen hat (aida a.a.O., S. 30). Sobald die Frist abgelaufen ist – wie hier beim Kläger – muss die betreffende Person einen neuen Asylantrag stellen, der als Folgeantrag behandelt wird. In diesem Fall wird ungeachtet der Tatsache, dass der vorherige Antrag nicht entschieden wurde, und ungeachtet von Art. 18 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO der Folgeantrag als unzulässig zurückgewiesen, wenn er keine neuen Tatsachen enthält, die die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus oder eines subsidiären Schutzstatus rechtfertigen (UNHCR a. a. O., S. 20; aida a. a. O., S. 30). Soweit vom Liasonmitarbeiter der Beklagten beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft in einem Lagebericht unter dem 13. Januar 2016 festgehalten wurde, dass dies nicht bedeute, dass kein Flüchtlingsschutz mehr gewährt werden
könne und nach aida (a. a. O., S. 49) die restriktive und willkürliche Interpretation des Tatbestandsmerkmals neue Tatsachen durch die ungarischen Asylbehörde kein
übermäßiges Problem darstelle, weil die meisten Asylbewerber mit neuen Beweismitteln oder Informationen über ihre Verwandten oder ihr Heimatland eine Sachprüfung erreichen können, verbleibt nach der Auffassung des Senats unter
maßgeblicher Berücksichtigung der Ausführungen des UNHCR (zur besonderen Relevanz der vom UNHCR herausgegebenen Dokumente: EuGH, Urt. v. 30. Mai 2013 – C-528/11 -, juris Rn. 44) das ernsthafte Risiko, dass der Antrag des Klägers ohne Sachprüfung erledigt und die Rückführung ins Heimatland betrieben wird.

2.2.2.2. Darüber hinaus ist nach der Überzeugung des Senats nach einer Überstellung des Klägers nach Ungarn mit seiner Unterbringung in einer der beiden Transitzonen an der serbischen Grenze zu rechnen, aus welcher er sich nicht – außer in Richtung Serbien – entfernen kann. Der Senat folgt insoweit
der Wertung des Menschenrechtskommissars des Europarates (FAZ vom 7. April 2017 a. a. O.) des UNHCR (www.unhcr.de vom 10. April 2017 UNHCR: Dublin-Überstellungen nach
Ungarn aussetzen) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urt. v. 14. März 2017 a. a. O., Tz. 56), dass es sich bei der Unterbringung im Transitzentrum um einen faktischen Freiheitsentzug handelt, wobei sich eine mögliche Rechtswidrigkeit vorrangig unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des Rechts auf Freiheit aus Art. 6 EUGrCh/Art. 5 EMRK (vgl. EGMR, Urt. v. 14. März 2017 a. a. O., Tz. 69) und nicht aus einer im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO relevanten entwürdigenden Behandlung nach Art. 4 EUGrCh/Art. 3 EMRK ergeben dürfte.

Mit der Unterbringung im Transitzentrum geht zudem die unmittelbare Gefahr der Abschiebung nach Serbien einher, zumal der Kläger eigenen Angaben zufolge über Serbien nach Ungarn eingereist ist. Eine solche Abschiebung nach Serbien würde einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK/Art. 4 EUGrCh darstellen. Art. 3 EMRK begründet eine Verpflichtung, eine Person nicht in ein Land zu abzuschieben, wenn wesentliche
Gründe dafür vorliegen, dass die betreffende Person, wenn sie abgeschoben wurde, unmittelbar oder mittelbar einem ernsthaften Risiko einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung im Bestimmungsland ausgesetzt sein würde (EGMR, Urt. v. 14. März 2017 a. a. O., Tz. 112 f.). Ein solches ernsthaftes Risiko würde bei einer Abschiebung des Klägers nach Serbien eintreten, da Serbien seinerseits auch kein
Asylverfahren aufweist, das eine inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe garantiert. Als sichere Drittstaaten können solche Staaten anerkannt werden, in denen die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK eingehalten werden und ein ordnungsgemäßes Asylverfahren gesetzlich gewährleistet ist (vgl. Art. 39 Abs. 2 RL 2013/32/EU [Abl. 2013, L 180/60]). Diesen Anforderungen genügt Serbien
nicht. Der UNHCR empfiehlt seit 2012, Serbien wegen grundlegender Mängel des Asylsystems nicht als sicheren Drittstaat einzustufen und Asylbewerber nicht dorthin
abzuschieben; diese Bewertung des serbischen Asylsystems als mangelhaft wird auch von der Europäischen Kommission geteilt (NdsOVG Urt. v. 15. November 2016 a. a. O., Rn. 55 m. w. N.; EGMR, Urt. v. 14. März 2017 a. a. O., Tz. 120). Zudem
sieht Serbien seinerseits u.a. Griechenland, Mazedonien und die Türkei als sichere Drittstatten an. Die Türkei – über die der Kläger gereist ist – wendet die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf europäische Flüchtlinge an (vgl. VGH BW Urt. v. 13. Oktober 2016 a .a. O., Rn. 43), zu denen der Kläger nicht gehört.

Zwar nimmt Serbien seit September 2015 keine Drittstaatsangehörigen zurück, es sei denn, sie haben gültige Reise- bzw. Identitätspapiere und sind von der serbischen
Visumpflicht ausgenommen (UNHCR, Ungarn als Asylland, S. 19). Daher wurden auf 3.006 Übernahmeersuchen Ungarns aus der ersten Jahreshälfte 2016 für nur 114 Personen die Zustimmung Serbiens erteilt. Diese betrafen mit Ausnahme von sieben Personen auch nur Staatsangehörige südosteuropäischer Staaten und der Türkei (UNHCR vom 9. September 2016, Die Situation von Asylsuchenden nach einer
Rücküberstellung nach Ungarn gemäß der Dublin-Verordnung, S. 1). Aus den Transitzonen heraus erfolgt aber keine Überstellung unter dem Rücknahmeabkommen mit Serbien. Vielmehr werden die abgelehnten Asylbewerber ohne Beteiligung der serbischen Behörden auf die Außenseite der Transitzone zurückgeleitet (UNHCR vom 9. September 2016 a. a. O.). Auch wenn sich dort noch ein schmaler Streifen
ungarisches Territorium – Niemandsland nach Auffassung der ungarischen Behörden – befindet (aida a. a. O. S. 16; bordermonitoring.eu/Pro Asyl e.V. a. a. O., S. 22),
handelt es sich in der Sache, auch aus Sicht der ungarischen Regierung, um eine Abschiebung nach Serbien (UNHCR vom 9. September 2016 a. a. O.; FAZ v. 7. April 2017 a. a. O.).

Es gibt keinen Anlass für die Annahme, Ungarn werde in Bezug auf den Kläger oder sonstige Personen, die nach der Dublin III-VO überstellt werden, von dieser aktischen Abschiebungspraxis
abweichen. Vielmehr hat Ungarn zwischenzeitlich die
Aussetzung von Drittstaatsangehörigen auf der Außenseite des Grenzzaunes zu Serbien fest etabliert. So trat im Juli 2016 ein Gesetz in Kraft, nach der alle Ausländer, die innerhalb eines Streifens von 8 Km zum Grenzzaun aufgegriffen werden und sich illegal in Ungarn aufhalten, auf die Außenseite des Zaunes gebracht werden, ohne dass ihre Daten aufgenommen werden oder sie einen Asylantrag anbringen können (aida,
a. a. O. S. 17 f.). Allein im Zeitraum Januar 2017 bis März 2017 wurden auf diese Weise 2.823 Personen auf das Gelände außerhalb des Zaunes hinausgeleitet (Hungarian Helsinki Committee [HHC] Hungary: Key Asylum Figures as of 1 April
2017). Bereits hinsichtlich der Umsetzung dieses Gesetzes wurde nicht nur von Gewaltanwendung gegenüber aufgegriffenen Personen berichtet (FAZ vom 14. Juli
2016, Vorwürfe wegen Misshandlungen; FAZ vom 26. Juli 2016, Geburt eines Lagers; FR vom 28. September 2016, Amnesty: Ungarn misshandelt Flüchtlinge; Die Tageszeitung
vom 2. August 2016, Gestandet im Niemandsland), sondern auch davon, dass Personen, die weiter als 8 Km von der Grenze entfernt aufgegriffen wurden, trotzdem auf die Außenseite des Zauns verbracht wurden (ai a. a. O., S. 20). Mit der Gesetzesänderung zum 28. März 2017 wurde diese Vorgehensweise nunmehr nach ungarischem Recht
legalisiert. Danach kann jeder Ausländer, der sich irregulär in Ungarn aufhält und unabhängig davon, ob er über die ungarisch-serbische Grenze eingereist ist, auf die Außenseite des Grenzzaunes zu Serbien verbracht werden (ecre, Asylum in Hungary: Damaged beyond repair?, März 2017, S. 5; Abschnitt 7 des von der Beklagten in englischer Sprache überreichten Gesetzestextes).

Soweit der Liasonmitarbeiter der Beklagten – wie von der Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung festgehalten – im Lagebericht vom 13. Januar 2016 eine
geringe Gefahr der Abschiebung nach Serbien für Dublin-Rückkehrer beschrieben hatte, erfolgte dies vor den ungarischen Gesetzesänderungen vom Juli 2016 und vom
März 2017. Die Angaben haben daher keine Aussagekraft mehr für die derzeitige Situation in der die Abschiebungen
nicht unter Inanspruchnahme eines Rücknahmeabkommens, sondern faktisch aus den Transitzonen heraus erfolgen. Auch
in der mündlichen Verhandlung konnte die Beklage von keinen Erfahrungen dahingehend berichten, dass Dublin-Rückkehrern in den Transitzonen eine andere Behandlung widerfährt, als anderen Asylantragstellern. Dies gilt umso mehr, als die
Beklagte nach der jüngsten Gesetzesänderung und dem Aufruf des UNHCR, dieDublin-Rückführungen auszusetzen (www.unhcr.de vom 10. April 2017 a. a. O.) keine Überstellungen nach Ungarn mehr vorgenommen hat (vgl. HHC, Key Asylum Figures as of 1 April 2017 und of 1 May 2017).